Mit Jockl nach Santiago
übernommen hat. Ein steiler, winkelig angelegter Treppenaufgang bringt den zunehmend außer Atem geratenden Pilger zur gotischen Basilika und den einzelnen Wallfahrtskapellen. Sein ungesicherter Blick wird dabei unweigerlich weiter die Felswand hinaufklettern; unter dem Château schwindelig geworden, beginnt er zu taumeln, stürzt in jene Rinnen, wo Mauer und Fels verschmolzen scheinen, versucht sich an ausgesetzten Gesimsen zu klammern, streift Fresken, schlägt auf Terrassen auf, rutscht über Türme ab und landet schließlich verwirrt auf den Ziegeldächern der Häuser zu seinen Füßen.
Die Sonne steht bereits tief, und Rocamadour liegt zur Gänze im Schatten, entbehrt deswegen aber nicht seines unwiderstehlichen Reizes. Gott sei Dank schließen bald die nervigen Andenkenläden mit ihrem grotesken Klimbim. Die Besucherströme versiegen zwischen Reisebussen oder verteilen sich an die gedeckten Tische kleiner Restaurants. Nach Einbruch der Dunkelheit lodert Rocamadour unter einem Bombardement von Scheinwerfern, daß es jedem Romantiker zu Herzen und ins geblendete Auge geht. Ein echter Pilger würde jetzt nach den Strapazen des Tages tief und fest schlafen, doch dieser Fels in Flammen regt einfach noch zu einem mitternächtlichen Spaziergang an.
In den Morgenstunden bereitet einsetzender Regen der milden Sommernacht ein jähes Ende. Am Vormittag lümmeln wir noch immer inmitten unseres Zeltchaos’ und warten ungeduldig auf ein Nachlassen des Schnürlregens. Der Campingplatz leert sich; Pkws und Wohnmobile fahren fast im Konvoi ab. Am Ende teilen wir nur noch mit zwei Radlerinnen im Zelt gegenüber den, wie nach einer Schlacht verwaisten, Platz. Sollen wir nun eine zweite Nacht dranhängen oder nicht? Die Entscheidung wollen wir im nächstbesten Café treffen; in etwas aufrechterer Sitzhaltung bei Schokolade-Croissants und Milchkaffee trauen wir unseren grauen Zellen mehr Entscheidungsfreudigkeit zu. Resultat unserer Beratung: Wir fahren weiter!
In strömendem Regen bauen wir ab, routiniert wie zwei Jahrmarktsbudenbesitzer. Um 13.00 Uhr rollen wir aus dem Campingplatz von l’Hospitalet nach Rocamadour runter und dort die andere Talseite hinauf in eine absolute Einöde. Ein letzter Blick ins Tal gehört dem Fels von Rocamadour. Unter dem deprimierend grauen Himmel wirkt der Ort wie ausgebombt, leblos wie eine Geisterwand. Aus dem Dunkel ihrer Fenster erwarten wir jeden Augenblick Raben, Dohlen, Fledermäuse oder ähnlich hexisches Getier kreischend aufflattern und unheilvoll vor der Felswand kreisen. Über dem hügeligen Hochplateau hängen hoffnungslos ergiebige Regenfahnen und nichts, das unseren Augen am Horizont einen Halt böte, nur etwas Wald und Einsamkeit und ein Himmel zum Weinen. Schweigsam wie zwei Trappisten kämpfen wir uns Minute um Minute vorwärts. Endlich, nach fast 20 Kilometern treffen wir wieder auf eine Hauptstraße. Die Ödnis bleibt jedoch die gleiche, auch in Labastide-Murat, wo wir unbedingt eine Aufwärmpause brauchen. In einem Tabakladen mit integrierter Minibar atmen wir rauchige Wärme und schütten heißen, scheußlich schmeckenden Kaffee - wir vermuten Tabakblätter als Kaffee-Ersatz - in unsere durchfrorene Anatomie. Wenig erholt und noch weniger getrocknet, nehmen wir die nächste Etappe in Angriff. Acht Kilometer weiter biegen wir auf die N20-E09 ab und liefern uns damit einem grauenhaften Lkw-Verkehr aus. Zwei Stunden neben ständig überholenden Fahrzeugen und noch dazu in diesem nicht endenwollenden Geplätscher, das geht auf keine Kuhhaut und schon gar nicht auf unsere Schwimmhäute, die uns bald wachsen werden.
Kurz vor 18.00 Uhr, also knapp fünf Stunden nach unserem Aufbruch, erreichen wir nach einer kilometerlangen Abfahrt ins Tal des Lot die wunderbar in einer Flußschleife gelegene Stadt Cahors , Hauptstadt des Quercy. Am Stadtrand retten wir uns zu neuen Beratungen schüttelfrostig in ein Einkaufscenter: Zimmer oder Campingplatz?! Aus Rücksicht auf unsere nicht allzu pralle Reisekasse entscheiden wir uns trotz unserer Triefhasen für letzteres. Das heißt, wir müssen durch die ganze Stadt, da sich der Platz am anderen Lot-Ufer befindet, noch dazu sehr unvorteilhaft direkt im Winkel von Brücke und Hauptstraße gelegen.
Die Flußidylle mit Enten und gelegentlich vorbeischippernden Ausflugsbooten trügt, denn wenige Meter hinter uns rast der Verkehr stadtauswärts Richtung Montauban und in selber Dichte über die Brücke auch hinein. Ein netter Campwart weist
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