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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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und setzen den Befingerungen ein Ende. Jockl dankt es uns, indem er beim Anspringen keine Mätzchen macht und wir uns durch die träge zurückweichende Menge einen Weg bahnen können.
    Jetzt gilt es die Strecke aufzuholen, die wir gestern so großzügig verbummelt haben. Die zwölf Kilometer bis Castelnau biegen wir auch gleich mal runter. Dazwischen liegt die Grenze zur Region Midi-Pyrénées und die an eine Bastide erinnernde Ortschaft Bretenoux, deren hübschem Hauptplatz wir einige Minuten Aufmerksamkeit schenken, bevor wir ungebremst auf Castelnau zusteuern. In einem weiten Bogen nähern wir uns dem Burgberg, an dessen Hänge sich eine Anzahl von Häusern in lockerer Abfolge hinaufstaffeln, gekrönt von der beherrschenden Anlage des Château Castelnau. Sowohl Häuser als auch die Burg bestehen aus auffallend rostrotem Gestein und bilden durch diese farbliche Einheit ein festes Burg-Häuser-Gefüge, dem ein mächtiger Donjon im Burghof noch das Tüpfelchen auf dem i aufsetzt. Umfangreiche Restaurierungen halten die Burg aus dem 11. Jahrhundert zumindest äußerlich in einem halbwegs guten Zustand. Innen hingegen werden da und dort doch größere Mängel sichtbar. Wir entschließen uns, trotz Nichtverstehens, zu einer französischsprachigen Führung, die eine schlechte Reinkarnation von Oskar Wilde vornimmt. Mit seinem intellektuellen Dandygehabe unterstreicht der Möchtegern-Oskar seine reichlich ungewöhnliche Wallehaar-Erscheinung, ausstaffiert mit einem Cape über einer leicht untersetzten, weichlichen Körpermasse und einem lächerlichen Spazierstöckchen. Seine blassen, jeder Körperarbeit fernen Finger spielen in einstudierten Bewegungen mit dem Knauf seines Stockes, während er eine kleine Schar von Besuchern durch die möblierte Muffigkeit der Wohntrakte der Burg und das Waffenmuseum hofiert. Und obwohl des Französischen unkundig, orten wir in dem Singsang seiner Erklärungen eine künstliche Nonchalance, die seinem Auftritt als brillanter Wilde keinen Applaus schenken wird. Wir wollen nicht mehr Publikum sein und atmen auf, als er uns endlich wieder in die Freiheit eines grauen Himmels entläßt. Wie herrlich man doch hier oben die Stille genießen kann; selbst vom Tal dringt kein Laut zu uns herauf - kein Autogeräusch, kein Hundegebell, nichts. Oder hören wir wirklich schon so schlecht? Unsere Blicke schweifen zu kleinen und kleinsten Dorfnestern in den Flußtälern von Dordogne und Cère, und während die Luft nach Blumengärten und feuchter Erde duftet, wickeln wir selbstbewußt unseren Stinke-Käse aus seiner dutzendfachen Verpackung und bereiten allen Wohlgerüchen vorerst ein Ende. Wahrlich ein Käse der widersprüchlichsten Sorte, einer, dessen himmlisch teuflisches Aroma Tote auferwecken bzw. Lebende unter Dauernarkose setzen könnte.
    Alsdann heißt es wieder die Ohren angelegt und weitergezockelt; erst in zirka 25 Kilometern wollen wir uns wieder eine Pause gestatten. Nach der besuchenswerten Ort Loubressac wird die Landschaft allmählich eintöniger, und wir vermissen den Charme des Dordogne-Tales, das wir nun endgültig hinter uns gelassen haben. Dafür steigen die Temperaturen und spätestens in Rocamadour winden wir uns wieder aus Wind- und Fleecejacken und verschwitzten Sweatern. Eines steht bald fest, auch hier werden wir heut’ nicht mehr weiterkommen, nach der Devise: Rocamadour sehen - und bleiben!
    Bei l’Hospitalet, am Rande eines höhlenreichen, von unterirdischen Flußläufen durchzogenen Hochplateaus stehend, setzt Rocamadour seine Verführungskünste ein. Im canyonartigen Tal des Alzou wächst direkt an der Felswand, wie ein Schutzschild, von unten nach oben eine berückende Komposition aus senkrecht übereinandergestaffelten Häusern, Treppenaufgängen, einer Wallfahrtsbasilika und dazugehörenden Pilgerkapellen. Gekrönt wird dieses hinreißende, überdimensionale »Kunstwerk« von einem festungsartigen Schloß, welches knapp am Felsrand thronend, der künstlerisch gestalteten Wand einen glanzvollen Abschluß verleiht. In Reiseführern liest man meist, Rocamadour klebe wie ein Schwalbennest am Fels; ich denke, das trifft nicht ganz den Kern der Sache. Eher wirkt Rocamadour selbst wie dekorativ behauener Fels - Ort und Stein sind dabei untrennbar eins geworden. Dieser Eindruck bestätigt sich auch bei unserer anschließenden Besichtigung. Die einzige Straße führt durch eine schmale Allee buntester Souvenirshops, alles ehemalige Wohnhäuser, bevor der Kommerz die Pacht

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