Mit Kurs auf Thule
Vínland (Weinland) genauer zu bestimmen. Der letztere Name zeigt an, dass die Nordmänner in einer Landschaft, in der es ganz offensichtlich noch Bäume gab, eine auffällige neue Art gefunden hatten,
vínber
(Weinbeeren). Deshalb verdiente das Gebiet einen eigenen Namen. Aber wo lag Vínland?
Schon vor 1960 und Helge Ingstads Entdeckung einer nordischen Ruinenstätte aus der Zeit um 1000 bei L’ Anse aux Meadows auf der grünen, grasbewachsenen |71| Nordhalbinsel Neufundlands war in der Diskussion über die richtige Lokalisierung von Vínland auch vorgeschlagen worden, Vínland als »Grasbedecktes Feld« zu übersetzen. Dieser Argumentation zufolge hatte das Präfix des Namens einen kurzen, keinen langen Vokal und korrespondierte deshalb mit dem Suffix »-vin« wie etwa in Bergens altem Namen Bjørgvin. Doch dieser besondere Gebrauch von »vin«, als Suffix wie als Präfix, war schon vor der Besiedlung Islands und Grönlands veraltet. Es fehlt in Ortsnamen nordischen Ursprungs nicht nur in Island und Grönland, sondern auch auf den schottischen Inseln und den Färöern. 5 Falls Vínland noch immer »Land der grünen Wiesen« bedeutet hätte, als Eirik der Rote Siedler nach Grönland locken wollte, hätte er sein neues Land genauso gut Vínland (mit kurzem Vokal) und nicht Grönland nennen können, um anzuzeigen, dass es dort gute Weiden gab. Es ist darüber hinaus zweifelhaft, ob die Nordmänner, die doch zu Hause in Grönland genügend Weideland besaßen, von Wiesen auf der amerikanischen Seite besonders beeindruckt gewesen wären.
Die Nordmänner hatten schon mehrere Jahrhunderte mit und auf dem europäischen Kontinent Handel getrieben, als sie sich daran machten, Nordamerika zu erkunden. Deshalb wussten sie sehr gut, was man brauchte, um Wein
(vín)
herzustellen. Wikinger, die in Frankreich und auf der Iberischen Halbinsel überwinterten, lernten wahrscheinlich schnell, wenn es um Essen und Trinken ging, und die Norweger, die zu Hause blieben, genossen eingeführten Wein und Rosinen ebenso wie frische Trauben, die schon in Deutschland wuchsen.
Auf der Insel Neufundland wachsen heute – wie auch vor tausend Jahren – keine Trauben. Deshalb kann Vínland nicht mit Neufundland gleichgesetzt werden, doch Teile der Insel waren zweifellos einbezogen in den Namen, den die Nordmänner der südlichsten von ihnen erkundeten Region gaben. Die kanadische Archäologin Birgitta Wallace, gegenwärtig für die Grabungsstätte L’Anse aux Meadows verantwortlich, nennt den Ort das »Tor« zu Vínland und meint, dass die Nordmänner wenigstens Teile von Nova Scotia erkundet haben müssen, wo sowohl wilde Trauben wie auch der amerikanische Butternussbaum
(Juglans cinerea)
wuchsen und noch heute wachsen, denn Früchte und (mit Eisenwerkzeugen bearbeitetes) Holz der Butternuss wurden in der nordischen Kulturschicht in L’ Anse aux Meadows gefunden. Wie ihre Vorgängerin Anne Stine Ingstad weist auch Wallace darauf hin, dass diese Kulturschicht sehr dünn ist. Die Stätte war offenbar nur ein oder höchstens zwei Jahrzehnte in Benutzung und diente damals wohl als Umschlagplatz für amerikanische Waren, die nach Grönland exportiert werden sollten. Die Ruinen verweisen auf die Anwesenheit von drei oder vier Häuptlingen mit großen Besatzungen, die |72| den Ort für Schiffsreparaturen, Erkundungen, die Ausbeutung verschiedener Rohstoffe und zum Überwintern nutzten. 6 Man nimmt heute allgemein an, dass die Häuser von L’ Anse aux Meadows Leif Eirikssons strategisch ausgewähltes Winterlager darstellten, das eine Zeitlang von nachfolgenden Kapitänen und ihren Mannschaften benutzt und ausgebaut wurde, wie auch die Sagas es andeuten.
Die Entdeckung der Trauben in Vínland
Es ist durchaus möglich, dass Leif Eiriksson getauft war, als er seine Erkundungsfahrt zu den Reichtümern des geheimnisvollen Vínland anführte, und dass auch andere in seiner Mannschaft dem Namen oder auch tatsächlich dem Glauben nach Christen waren. Viele andere jedoch hatten sicher noch an ihrem heidnischen Glauben festgehalten und zerbrachen sich nicht den Kopf über die Transsubstantiationslehre. Die religiöse Zugehörigkeit von Tyrkir dem Südländer, der die Trauben in Vínland entdeckt haben soll, gibt die »Saga von den Grönländern« jedenfalls nicht genauer an. 11 Tyrkir hatte, so wird berichtet, schon lange als Leifs Ziehvater mit der Familie gelebt, vielleicht als Sklave, und |74| Leif hatte als Kind sehr an ihm gehangen. Die Saga
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