Mit Kurs auf Thule
bevor sie sich zu Jagden in die Polarregion aufmachten. 2 Die historischen und archäologischen Belege stützen diese Sicht allerdings nicht. Vielmehr gilt es als sicher, dass schon Eirik der Rote an Jagden im Norden und vor allem an das Walross als Beute dachte, als er seine Kolonie in Grönland gründete. Walrosse sind große Tiere, die zum Schlafen das Wasser verlassen müssen. Deshalb folgen sie im Sommer dem Treibeis, wenn es sich nach Norden bis in die Engstelle der Davis Strait zurückzieht, wo es dann feststeckt. Nordische Jäger, die ihrer Beute so hoch in den Norden folgten, mussten westwärts steuern, um in offenem Wasser zu bleiben, und manche wagten sich wohl so weit nach Westen, dass sie jenseits der Meerenge die fernen Gletscher von Baffin Island erkennen konnten. Als erfahrene Seeleute brachten sie diese Gegenküste sicher mit Bjarni Herjolfssons Geschichte und ähnlichen Erzählungen in Verbindung und vermuteten, dass sie dort vielleicht Wälder finden könnten, wenn sie nur weit genug an der Küste entlang nach Süden segeln würden.
Falls Bjarnis Erzählung ( »Saga von den Grönländern«) über die Wälder, die er von Weitem gesehen hatte, tatsächlich eine Neuigkeit war, so nahm man sie in einem Land, das so wenig Holz besaß wie die neue Kolonie Eiriks des Roten, sicherlich freudig auf. Es ist jedoch auch möglich, dass der Erzähler der Saga aus künstlerischen Gründen verschiedene Berichte anderer nordischer Seefahrer, |68| die ebenfalls weiter im Westen Land gesehen hatten, zusammenführte. Dieser Teil der Geschichte steht zudem im Widerspruch zum Bericht der »Saga von Eirik dem Roten«, demzufolge Eiriks Sohn Leif vom Sturm getrieben als erster jene fremde Küste erblickte und dort an Land ging. Dies geschah angeblich auf der Rückreise von Norwegen, wo er Olaf Tryggvason (König von Norwegen 995–1000) besucht hatte und von ihm bekehrt worden war. Allerdings hat der isländische Mönch Gunnlaug hier einen Abschnitt hinzugefügt, weil er Olaf Tryggvasons Ansehen als missionarischer Monarch aufpolieren wollte. Deshalb ist dieses Detail der Vínland-Geschichte heute heftig umstritten. 3
Laut der »Saga von den Grönländern« berichtet Bjarni nach seiner sicheren Ankunft in Grönland, er habe neue Küsten gesichtet. Obwohl er angeblich den Handel aufgab, nachdem er sich auf dem Hof seines Vaters niedergelassen hatte, segelte er einige Zeit später doch wieder nach Norwegen, um dieses Mal Jarl (Fürst) Eirik Hákonsson zu besuchen, der nach dem Tod König Olaf Tryggvasons im Jahr 1000 Regent des Landes geworden war und diese Position bis 1012 innehatte. Der Jarl empfing Bjarni nach Darstellung der Saga freundlich, doch als er und andere in Norwegen dessen Geschichte über die unbekannten Küsten hörte, schalten sie ihn, weil er das neue Land nicht erkundet habe. In Grönland gab es allerdings auch andere, denen es nicht an der nötigen Neugier fehlte.
Im nächsten Sommer kehrte Bjarni von Jarl Eiriks Hof zurück und fand die Ostsiedlung in heller Aufregung über Pläne für eine Expedition zu den neuen Küsten im Westen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Erforscher von den Ressourcen der Neuen Welt zu profitieren hofften, denn dem nordischen Brauch entsprechend spiegelten die Ortsnamen, die Leif auf der amerikanischen Seite vergab (siehe unten), eine Bewertung des wirtschaftlichen Potenzials jeder Region wider.
Eirik »der Rote« als treibe nde Kraft
Die beiden Vínland-Sagas schildern die folgenden Ereignisse etwas unterschiedlich, doch beide machen deutlich, dass Eirik der Rote und seine Familie die Initiative wie auch die Führung bei allen frühen Expeditionen nach Nordamerika innehatten, was in einer sozialen und wirtschaftlichen Hierarchie, die von Häuptlingen beherrscht wird, unter denen Eirik der Ranghöchste war, auch nicht anders zu erwarten ist. Die Kapitäne auf den von den Vínland-Sagas geschilderten Reisen waren seine Söhne und andere Angehörige seines engsten Kreises, wie etwa der zu Besuch anwesende isländische Kaufmann Thorfinn |69| Karlsefni Thordsson und einige seiner isländischen Verwandten und Freunde. Karlsefni spielt eine entscheidende Rolle in der »Saga von Eirik dem Roten«, die Leif Eirikssons Erkundungen als einen Teil seiner Zickzack-Reise von Norwegen nach Grönland beschreibt, während die »Saga von den Grönländern« verschiedene amerikanische Reisen aller vier Kinder Eiriks, auch seiner Tochter Freydis, schildert. Karlsefnis
Weitere Kostenlose Bücher