Mit Kurs auf Thule
vergingen, ohne dass man etwas von ihnen sah, aber dann kamen sie in so großer Zahl zurück und heulten so wütend, dass Karlsefni klar wurde, dass sie auf einen Kampf aus waren. Bei der nachfolgend einsetzenden erbitterten Auseinandersetzung starben vier Ureinwohner und zwei Nordmänner, und Freydis Eiriksdóttir errötete bei dem Gedanken daran, dass sie den Feinden Angst eingejagt hatte, indem sie ihre Brust entblößte und mit einem Schwert auf sie einschlug.
Karlsefni und seine Gefährten kamen nach diesen Ereignissen zu dem Schluss, dass ihr kleiner Trupp von Nordmännern in einem so feindlichen Umfeld keine Zukunft hatte. Sie packten ihre Sachen und kehrten an den Straumsfjord zurück. Unterwegs töteten sie noch fünf schlafende Ureinwohner. An diesem Punkt der Erzählung sind die Abweichungen zwischen der »Saga von Eirik dem Roten« und der »Saga von den Grönländern« schon so groß, dass der Leser sich nicht wundert, wenn der Verfasser der ersteren eine andere mögliche Variante der Geschichte einschiebt über das, was »einige« von diesen Vorgängen in Vínland berichtet haben: Thorvald Eiriksson sei durch den Pfeil eines »Einfüßlers« gestorben. Dann erzählt er vom sagenumwobenen Hvítramannaland (Land des weißen Mannes) und von der Rückkehr der ganzen Mannschaft nach Grönland. Dort verbrachte man den Winter mit Eirik dem Roten, der zumindest in dieser Saga noch am Leben und bei bester Gesundheit war.
Die »Saga von Eirik dem Roten« berichtet auch, dass Karlsefni und Gudrid bei ihrer Rückkehr nach Grönland ihren dreijährigen Sohn Snorri dabei hatten, der im ersten Herbst am Straumsfjord zur Welt gekommen war. Nach der Überwinterung in Brattahlid ging die kleine Familie zurück nach Island, um dort auf Karlsefnis Hof zu leben, wo ein zweiter Sohn, Thorbjörn, hinzukam. Beide |78| Söhne Karlsefnis wurden die Vorfahren der isländischen Bischöfe, und »damit schließt nun diese Saga«.
Auch die »Saga von den Grönländern« erzählt von der Geburt des kleinen Snorri, des ersten europäischen Kindes, das in Amerika geboren wurde – etwa gleichzeitig mit dem ersten Handelstreffen zwischen Nordmännern und amerikanischen Ureinwohnern. Der Tauschtag verlief friedlich, und als eine weitaus größere Menge von Ureinwohnern früh im folgenden Winter mit Pelzen im Gepäck auftauchte, sah es so aus, als könnte auch dieses zweite Treffen ohne Zwischenfälle vonstatten gehen. Als allerdings ein Ureinwohner versuchte, einem von Karlsefnis Männern Waffen zu stehlen, wurde er getötet. Die Ureinwohner flohen Hals über Kopf und ließen ihre Tuch- und Pelzbündel zurück. Karlsefni ging davon aus, dass sie bald zurückkommen würden, um sich zu rächen, und traf seine Vorbereitungen. Kurz darauf kam es tatsächlich zum Kampf, viele Ureinwohner verloren ihr Leben. Die übrigen verschwanden in den Wäldern. Obwohl man den ganzen Winter über nichts mehr von ihnen sah, erklärte Karlsefni bei Anbruch des Frühlings, dass er nach Grönland zurückkehren wolle. Die Nordmänner »nahmen gar viele Kostbarkeiten von dort mit: Weinranken, Weintrauben und Pelzwerk«, segelten davon und verbrachten den nächsten Winter auf Brattahlid.
In dieser Darstellung von Karlsefnis Kampf mit den Ureinwohnern gab es kein wagnerianisches Auftauchen von Freydis Eiriksdóttir, weil sie nicht zu den fünf Frauen der Expedition gehörte. Stattdessen erhielt Freydis angeblich, kurz nachdem Karlsefni mit seiner kleinen Familie nach Grönland zurückgekehrt war, von Leif die Erlaubnis, seine Häuser in Vínland zu bewohnen, und organisierte eine eigene Expedition mit zwei Schiffen. Ihr Ehemann Thorvard bekam die gnädige Erlaubnis, sich anzuschließen, und angeblich waren auch fünf Frauen dabei, wie sich in der kurzen Episode zeigt, in der Freydis eine Axt nimmt und höchstpersönlich alle fünf Frauen köpft, weil sich die Männer geweigert hatten, dies zu tun. Es ist eine sehr verworrene Geschichte voller Täuschung, Habgier und unbändiger Grausamkeit, und mehr als ein Wissenschaftler hat sich gefragt, ob sie nicht nur eingefügt wurde, um Freydis’ schwarze, heidnische Seele der Heiligkeit von Gudrid Thorbjarnardóttir gegenüberzustellen, die ihr Leben als Einsiedlerin beschloss und zu deren Nachkommen drei isländische Bischöfe zählten.
Ungeachtet dieser voneinander abweichenden Berichte über die frühen Reisen nach Vínland und der hoffnungslos vagen Ortsbeschreibungen in diesen nordischen Odysseen sprechen die
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