Mit Kurs auf Thule
»Pilappelanth« mit der darunterliegenden Landmasse verbunden. Ein zweites »Engronelanth« ganz weit nördlich auf der skandinavischen Halbinsel zeigt die Abhängigkeit des deutschen Kartenzeichners von Claudius Clavus auf andere Weise, denn die Nancy-Karte hatte »Engromelandi« in etwa der gleichen Position, bezog sich damit aber auf die nordostschwedische Region Ångermanland. Von 1482 an sind auf vielen Karten des Nordens zwei Grönlands zu finden.
Kurz nach 1500 n. Chr. kann man auch die Auswirkungen der zunehmenden Segelfahrten in die Davis Strait an der Kartografie ablesen. Bevor wir jedoch zwei wichtige Beispiele dieser Entwicklung näher betrachten, sollten wir noch mit einem weiteren zählebigen Mythos zur Erkundung des Nordens einschließlich Grönlands aus dem 15. Jahrhundert aufräumen.
Freibeuter im Nordmeer – Didrik Pining und Hans Pothorst
Der reiche Azorer João Vaz Corte Real (*?; † 1496) hatte drei Söhne: Gaspar, Miguel und Vasco Annes. Sie waren offenbar unternehmungslustige Seeleute wie ihr Vater – Berichten zufolge erhielt João 1474 die Statthalterschaft auf Terceira als Belohnung für eine Reise (unbekannten Datums) nach Nordamerika im Auftrag des portugiesischen Königs Alfonso V.
Dieser nur schemenhaft bekannten Reise fügte der dänische Bibliothekar Sofus Larsen 1925 Didrik Pining, Freibeuter in Diensten der Hanse, und seinen Kollegen Hans Pothorst hinzu und versah beide Männer mit einem Lebenslauf als Erkunder des Nordatlantiks vor 1478 sowie mit einem Zwischenspiel als Piraten in grönländischen Gewässern um 1494, deren Hauptquartier auf der Insel »Hvitsark« zwischen Island und Grönland (die es nicht gibt) lag. Larsen wusste offenbar nicht, dass Pothorst und Pining erst 1548 mit diesem Piratennest in Verbindung gebracht worden waren, als der Pariser Verleger Henri de Gourmont eine Landkarte Islands veröffentlichte, die sich stark auf die
Carta marina
des schwedischen Erzbischofs Olaus Magnus von 1539 stützte und auch Olaus’ allgemeine Hinweise auf Piraten auf »Hvitsark« aufnahm. Carsten Grypp, Bürgermeister von Kiel, sah De Gourmonts Karte und beschrieb sie in einem kriecherischen Brief an Christian III. von Dänemark. Er fügte auch an, dass Christians III. Großvater auf Bitten des portugiesischen Königs Pining und Pothorst mit einigen Schiffen ausgesandt habe, um nach neuen Ländern und Inseln im Norden zu suchen, und dass diese Herren einen Verteidigungsbau |207| auf »Hvitsark« errichtet hätten gegen die Piraten, die sich auf diesen Meeren herumtrieben. 26
Aus Grypps Brief und den anderen miteinander verflochtenen Legenden braute Larsen eine Geschichte zusammen, die in bestimmten Kreisen noch immer lebendig ist: Pining und Pothorst hätten 1473 an einer Entdeckungsreise in den Norden teilgenommen, die der portugiesische König angeregt und der dänische König organisiert hätte und auf der ein gewisser Jon Skolp (alias Scolvus) Steuermann gewesen wäre. Man sollte doch annehmen, dass den Nordmännern in Grönland ebenfalls ein Platz in diesen Fantasiegeschichten eingeräumt würde, doch zu Larsens Zeit ging man allgemein davon aus, dass die nordische Kolonie schon bald nach dem Ende des Kontakts mit Norwegen zugrunde gegangen sei. Stattdessen krönte Larsen diese fiktive Expedition in die Davis Strait mit der Behauptung, es sei eben jene gewesen, für die der portugiesische König später João Vaz Corte Real mit der Statthalterschaft belohnte.
Die englische Pespektive und die Ruysch-Karte von 1507/08
1502 oder 1503 segelte der deutsche Kartenzeichner Johannes Ruysch auf einem englischen Schiff, das von Südengland aus dem 53. Breitengrad »etwas nördlich« folgte, zu den Fischbänken vor Neufundland. 1507 lieferte er dann eine Weltkarte (veröffentlicht in der römischen Ausgabe von Ptolemaios’
Geographia
im Jahr 1508), die die Südhälfte Grönlands hinreichend realistisch darstellte, um mit der Vorstellung aufzuräumen, dass Grönland den Europäern im Grunde unbekannt gewesen sei. Im Gegensatz zum »Cantino«-Werk zeigt die Ruysch-Planisphäre »Grvenlant« als einen riesigen Fortsatz Asiens nach Nordosten, völlig getrennt von der europäischen Seite des Atlantiks, genau wie ein Seemann das Land wahrnimmt, wenn er von den Britischen Inseln nach Westen segelt. Die Region Neufundland-Labrador trägt den Namen »Terra Nova«.
Vor allem drei Einzelheiten bestätigen, dass Ruysch, der sich sonst stark auf portugiesisches Wissen stützte, Zugang
Weitere Kostenlose Bücher