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Mit Kurs auf Thule

Mit Kurs auf Thule

Titel: Mit Kurs auf Thule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten A. Seaver
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Grönland waren auch sicher nicht gerade die ärmsten Bewohner Islands gewesen.
    Diejenigen, die die neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten an der Küste Labradors ausgelotet hatten, konnten nicht vorhersehen, mit welchen Bedingungen sich die Europäer konfrontiert sehen würden, wenn sie versuchten, das ganze Jahr über an den Küsten zu siedeln. Sie hatten das Gebiet nur in der wärmeren Jahreszeit kennengelernt und wussten nicht, dass die Isothermen sich dort ziemlich nach Süden verschieben, dass also mit erheblich tieferen Wintertemperaturen als auf einer ähnlichen Breite in Grönland zu rechnen ist. Wenn die nordischen Grönländer tatsächlich nach Westen wanderten, um sich in einem Landstrich Labradors niederzulassen, den andere für sie ausgewählt |219| hatten – was wahrscheinlich ist –, landeten sie womöglich auf dem Boden der Davis Strait, bevor sie überhaupt das andere Ufer erreichten, oder sie starben in ihrem ersten Winter im neuen Land an neuen Krankheiten, vor Hunger oder einfach durch die bittere Kälte. Für sie und für alle, die womöglich in Grönland zurückgeblieben waren, war es der Anfang eines schnellen Niedergangs – der Anfang vom Ende.

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    |220| 11 Wer suchte nach den nordischen Grönländern?
    Nachdem er die gewaltigen Eismassen »aufgetürmt entlang der Ostküste von Alt-Grönland bis nach Kap Farvel« mit eigenen Augen gesehen hatte, notierte der englische Seemann und Walfänger William Scoresby der Jüngere 1820, dass niemand das Schicksal der armen Grönländer kenne, die seit 1406 auf sich gestellt gewesen seien. Damals seien die unüberwindlichen Eismassen vor ihrer Küste zum Problem geworden. Etwas herablassend fügte er hinzu: »Auf Anordnung der dänischen Regierung wurden verschiedene Versuche unternommen, dieses Land wieder nutzbar zu machen und das Schicksal der unglücklichen Siedler zu klären, doch diese Versuche waren meist lustlos und scheiterten alle.« 1
     
    Die Saga der nachmittelalterlichen Bemühungen, den Kontakt zu den nordischen Grönländern wieder aufzunehmen, ist tatsächlich eine Geschichte der Enttäuschungen und Niederlagen – das konnte auch kaum anders sein, denn sich verändernde Vorstellungen von der Geografie Grönlands hatten ältere Informationsquellen so kontaminiert, dass alles frühere Wissen darüber, wo die Nordmänner gesiedelt hatten, verloren gegangen war. Für Scoresby und andere Walfänger war »Neu-Grönland« der Archipel, zu dem auch Spitzbergen gehörte und den Willem Barentsz 1596 entdeckt hatte. »Alt-Grönland« war Grönlands Ostküste von Kap Farvel nach Norden bis etwa zum Scoresby Sound – ein Küstenstrich, den kein Walfänger, der seine Rumration wert war, freiwillig angesteuert hätte, weil alle von dem Eisgürtel und anderen Gefahren wussten, an dem aber der allgemeinen Überzeugung nach die Nordmänner gesiedelt hatten.
    |221| Auf einer Karte, die Scoresby 1820 zeichnete, wird Grönland als »Altes oder Westliches Grönland« bezeichnet, um es vom Svalbard-Archipel zu unterscheiden, den viele englische Walfänger noch immer einfach »Grönland« nannten. Grönlands Ostküste ist auf Scoresbys Karte südlich von Gael Hamkes Land eingezeichnet. Hier findet sich die Anmerkung »Küstenlinie von William Scoresby 1819 verfolgt«; es gibt keine Ortsnamen bis Öllumlengri ein Stück oberhalb eines Vorgebirges namens Herjolfsness. Südlich von dort bis Kap Farvel folgen verschiedene Namen mit eindeutig nordischem Klang: St Olaus, Erics fiord, Dyrnæs Church, Whale I (Hvalsey) und so weiter. Es war allerdings nicht Scoresby, der diese Praxis erfand: Die früheste Landkarte, die ausführliche Ortsnamen im nordischen Stil entlang der Ostküste Grönlands lokalisiert, zeichnete der Holländer Joris Carolus 1626 auf Drängen Christians IV. von Dänemark. Sie wurde 1634 veröffentlicht. 2 Die Vorstellungen hinter dieser grafischen Darstellung »Alt-Grönlands« reichten allerdings noch viel weiter in die Vergangenheit zurück.
    Abgesehen von den Grönländern selbst und allen, die Erfahrung mit Grönlandfahrten hatten, mangelte es schon in den zwei Jahrzehnten vor der Hochzeit in Hvalsey im Jahr 1408 an aussagekräftigem Wissen über das Land. Dafür spricht auch die Bereitwilligkeit, mit der man in Bergen die Geschichten von der »Abdrift« akzeptierte, die dort aufgetischt wurden (vgl. Kapitel Sieben). Die zwischen 1424 und 1430 entstandenen Arbeiten des dänischen Kartenzeichners Claudius Clavus (Kapitel Zehn)

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