Mit Kurs auf Thule
zu den gesammelten Informationen englischer Fischer über Grönland und Island hatte. Vor Westisland liegt eine kleine Insel, die angeblich 1456 von einem Feuer verheert worden war. Sie befindet |210| sich bis heute in einem Gebiet beträchtlicher unterseeischer Vulkanaktivität. Ein im Meer aufquellender Magmaausbruch hätte Fischer, die dieses Naturphänomen draußen auf See beobachteten, sicher beeindruckt. Die Verbindung zwischen dem Fang von Kabeljau und Ruyschs englischen Informanten zeigt sich auch an der Nordspitze Norwegens, wo ein winziges Symbol für eine Kirche und der Name »Sancti Odulfi« auf die Kirche St. Olaf in Vardø hinweisen, die der norwegische Erzbischof 1307 geweiht hatte. Neben einer etwa zur selben Zeit errichteten Festung markierte St. Olaf die kirchliche wie weltliche Bedeutung dieser an Kabeljau reichen Region, in der sich die englischen Kabeljaukaufleute schon lange gut auskannten. Und schließlich ist auf der Ruysch-Karte die weite Bucht, die Grönland von der Nordostküste der Neuen Welt trennt, mit dem Namen »Sinus Gruenlanteus« – »Grönländische Bucht« – verzeichnet. Mit anderen Worten: Für die englischen Fischer, von denen Ruysch seine Informationen bezog, war hier nicht »Terra Nova« das vertraute Gebiet, sondern Grönland, was bedeutet, dass seine Informanten gewohnt waren,
von
einem bekannten Grönland aus über die Davis Strait
zu
den relativ neuen Fischgründen auf der anderen Seite zu segeln. 31
|216| Lockten João Fernándes und Richard Warde als Rattenfänger?
Vor ihrem ersten gemeinsamen Eintreffen in Bristol hatten João Fernandes, Francisco Fernandes und João Gonsalves den Sommer 1500 wahrscheinlich mit der Erkundung der nordamerikanischen Ostküste verbracht, abgesichert durch Joãos portugiesisches Patent aus dem Jahr 1499. Nachdem dieser zuvor etwa drei Jahre damit verbracht hatte, ein Gebiet zu erkunden, auf das schon Pedro de Barcelos und andere Azorer Ansprüche erhoben, ist wohl auch zu vermuten, dass er damals entschied, wo er seine eigenen Bemühungen konzentrieren wollte. Ein solcher Ort musste in der portugiesischen Einflusssphäre nach dem Vertrag von Tordesillas liegen und jene natürlichen Rohstoffe bieten, die in der Region von Labrador-Neufundland vorkamen.
João Fernandes’ Pläne zogen Richard Warde, John Thomas und Thomas Asshehurst vielleicht gerade deshalb an, weil er sich nicht darauf konzentrierte, neue Märkte für Tuch, Haushaltswaren und andere europäische Fertigprodukte zu erschließen, sondern wichtige überseeische Rohstoffe und Produkte für den europäischen Markt erschließen wollte. Das anglo-azorische Syndikat von 1501 erschien überaus sinnvoll, weil viele Kaufleute aus Bristol ebenfalls ein Auge auf die überseeische Kabeljaufischerei geworfen hatten und viele Portugiesen einerseits ihre eigene Fischerei ausweiten wollten und andererseits »die englische Suche nach alternativen Fischquellen im Westatlantik unterstützten, da der isländische Fischhandel einen so beträchtlichen Teil der portugiesischen Einfuhren ausmachte«. 42 Auch die gewaltigen amerikanischen Wälder lockten.
Viele Küstengebiete Labradors und Neufundlands konnten für Europa interessante Rohstoffe bieten, doch eine systematische Ausbeutung war nur von dauerhaften Siedlungen mit ausgebildeten Arbeitern aus zu leisten. Die Kolonisatoren vom europäischen Festland hatten sicher nichts dagegen, von der Arbeitskraft eingeborener Sklaven Gebrauch zu machen. Die Wirtschaft auf den Azoren hingegen war bis in die 1460er Jahre von der Arbeit europäischer Einwanderer abhängig gewesen, und es kann durchaus sein, dass João Sklavenarbeit als unpassend ablehnte für ein Unternehmen, bei dem eigentlich europäische Fischer, Bauern, Walfänger und Holzfäller gebraucht wurden. Der Schutz vor den Ureinwohnern der Neuen Welt war ihm wichtiger als ihre Versklavung. Nun war es aber im frühen 16. Jahrhundert nicht gerade einfach, europäische Siedler mit den benötigten Fähigkeiten für ein solches Unternehmen im Norden zu finden. Für diese Zeit liegen uns die ersten einigermaßen verlässlichen |217| Bevölkerungszahlen vor: Portugal hatte nur 1,25 Millionen Einwohner – Spanien hatte etwa sieben Millionen und Frankreich vierzehn –, zudem machte sich schon ein größerer Bevölkerungsabfluss in das wachsende asiatische und afrikanische Überseeimperium des Landes bemerkbar. Auch England war mit seinen vier Millionen Einwohnern nicht in der Lage, Siedler für
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