Mit Kurs auf Thule
Übersee zu stellen. Die Bevölkerung des Landes begann sich gerade erst wieder von mehreren Hungersnöten und Epidemien zu erholen, bei denen sich die Hafenstädte Bristol, Exeter und Norwich als besonders verletzlich erwiesen hatten, egal, ob die Infektion von London oder vom europäischen Festland herüberkam. 43
Alle sechs Gesellschafter des anglo-azorischen Syndikats von 1501 wussten, dass dauerhafte Küstenstationen die Fischer in die Lage versetzen würden, vom frühen Frühjahr bis ganz zum Ende der Fischfangsaison zu fischen und die langwierige Konservierung zu überwachen. Bisher war das Einsalzen die einzige sinnvolle Konservierungsmethode für iberische wie für englische Fischer fern der Heimat gewesen; zu Hause herrschte nicht das geeignete Klima, um den Fisch im Wind zu trocknen. Das trockenere Klima nördlich von Neufundland dagegen war womöglich für das Trocknen des Stockfischs geeignet. Man brauchte sich also nur die Kontrolle über einen Küstenstrich dort zu verschaffen und Menschen mit den benötigten Fähigkeiten und Kenntnissen für die Fischerei und Verarbeitung der überreichen Kabeljaubestände dorthin zu bringen
Auf der Suche nach Siedlern und Arbeitern ging man im Zeitalter der Entdeckungen und der Kolonisation im 15. und 16. Jahrhundert häufig überaus rücksichtslos und trickreich vor, und wir dürfen vermuten, dass auch João Fernandes und seine Partner hier keine Ausnahme bildeten. Auch andere Geschäftsleute starteten in jenen Jahren um 1500, für die ein besonderer Mangel an schriftlichen Unterlagen herrscht, vielleicht ähnliche Unternehmungen in diese Region. Nach allem, was wir wissen, könnten die sechs Mitglieder des Syndikats durchaus beschlossen haben, ihr Rekrutierungsproblem mit Hilfe der nordischen Kolonie in Grönland zu lösen, von der einige in Bristols innerem Kreis schon lange wussten. Jedenfalls sollte man unbedingt festhalten, dass die nordischen Grönländer verschwanden, als die Welle der europäischen Expansion kräftig gegen ihre äußeren Küsten schwappte.
Auswanderung spricht vor allem die jüngeren und kräftigen Mitglieder der Bevölkerung an, jene, die zu verlieren eine Gesellschaft sich am wenigsten leisten kann. João Fernandes mit seinen azorischen und englischen Geschäftspartnern könnte der Katalysator gewesen sein, durch den die Ostsiedlung um 1500 das stärkste und fruchtbarste Bevölkerungssegment verlor. Die nordischen |218| Grönländer verfügten über all jene Fähigkeiten, die man braucht, um Landwie Meerestiere zu nutzen, in Süß- wie Salzwasser zu fischen, Stockfisch und andere Fischprodukte herzustellen und unter harten Bedingungen zu überleben. Ihre Haustiere waren ebenso zäh und damit eine willkommene Zugabe für jede neue Siedlung, und über die Davis Strait mussten Menschen wie Tiere nur eine relativ kurze Entfernung auf den Schiffen zurücklegen. Indem er drei Kaufleute aus Bristol, die mit genaueren Informationen über Grönland aufwarten konnten, in sein Unternehmen holte, beseitigte João ein großes Hindernis: Einige Kaufleute, die Grönland als »ihren Besitz« betrachteten, hatten noch vor John Cabots Reise von 1497 ihre eigenen Fischereiinteressen entlang eines Küstenstrichs Labradors angemeldet.
Damit blieb nur noch das Problem, wie man die nordischen Grönländer von der Teilnahme an einem solchen Projekt überzeugen konnte. Sie wussten von Vínland, Markland und Helluland, doch um alle Zelte abzubrechen und nach Westen zu ziehen, brauchte es die Überredungskunst eines Führers und Organisators mit den Fähigkeiten Eiriks des Roten – Eigenschaften, mit deren Hilfe es auch John Cabot, den Corte Real-Brüdern und João Fernandes gelang, ihre Unternehmungen in Gang zu bringen. 44 Zudem musste man die Grönländer davon überzeugen, dass sie auf der anderen Seite der Davis Strait bessere Lebensbedingungen zu erwarten hatten. Wenn die nordischen Grönländer ihre Binnen- wie Außenwirtschaft auf die englische Nachfrage nach Stockfisch und anderen Fischprodukten eingestellt hatten, die gerade so stark nachließ, dass sie von einer vollständigen Isolation bedroht waren, forderten sie wahrscheinlich vor allem Garantien hinsichtlich des Transports und Hilfszusagen beim Start in ein neues Leben – genau wie ihre Vorfahren, als sich die Gelegenheit bot. Die Bedingungen in der Ostsiedlung müssen nicht einmal so schlecht gewesen sein, damit ein solches neues Kolonisierungsangebot verlockend klang; die ersten Siedler in
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