Mit Kurs auf Thule
eine Rolle spielen sollten; es genügt wohl festzustellen, dass weder die Texte noch die Karte irgendwelche Ortsnamen oder Beschreibungen bieten, die auch nur im Entferntesten auf die Insel Orkney hinweisen.
Wie Brian Smith, der gegenwärtige Archivar auf den Shetlands, in seiner klugen Entzauberung der Fantasiegeschichte vom Jarl Henry in Amerika anmerkt, stammt die erste zögerliche Gleichsetzung von Zichmni mit dem ersten Sinclair-Jarl von Orkney aus den 1780er Jahren, als der englische Reiseschriftsteller John Reinhold Forster beschloss, die Zeno-Karte und die dazugehörigen Texte zu interpretieren, die man damals beide allgemein für echt hielt. Es sollten allerdings noch einmal hundert Jahre vergehen, bevor Forsters Embryo zu einem kräftigen Kind heranwuchs – nur gerade mal zwei Jahrzehnte, bevor der amerikanische Gelehrte Frederic W. Lucas Zenos Machwerk als Fälschung entlarvte. 4
Richard Henry Major, Kurator des Map Room des British Museum von 1844 bis zu seiner Pensionierung 1880, veröffentlichte seine eigenen Ausarbeitungen zu Zeno-Karte und -Texten erstmals 1873. Seine große Erfahrung mit alten Karten hinderte ihn leider nicht daran, Hirngespinsten nachzuhängen. Mit der |244| ganzen Autorität seiner akademischen Position setzte er Zenos frei erfundene Inseln und Ortsnamen ganz entschieden mit Orten im Nordatlantik gleich, und ein Jahr später versicherte er vor einer Zuhörerschaft in Massachusetts:
Bei der Klärung der verschiedenen Gegebenheiten in Hinblick auf dieses verehrungswürdige und alte Dokument hatte ich beträchtliche Fortschritte hin zur Erkenntnis der Wahrheit gemacht; aber ich hätte es vielleicht nicht geschafft, wenn nicht Johann Reinhold Forster, der ausgezeichnete Gefährte des Kapitän Cook, schon 1784 die wertvolle Anmerkung gemacht hätte, dass »Zichmni« die Schreibweise des Südens für »Sinclair« sei. Henry Sinclair war zur fraglichen Zeit Graf von Orkney und Caithness, und jeder Umstand, geografisch, politisch und historisch, den ich dank intensiver kritischer Prüfung und Forschung aus der Erzählung heraus entwickeln konnte, hat jenseits aller Zweifel gezeigt, dass er Recht hatte.
Majors Informationen über die nordischen Grönländer und ihre nordamerikanischen Aktivitäten stammten größtenteils aus den
Antiquitates Americanae
. Er hielt sie offenbar für ausreichend, um Forsters Theorien mit seinem eigenen Abgleich der Zeno-Texte mit Ívar Bárdssons Bericht aus Grönland zusammenzubringen. Dabei stieß er auf Übereinstimmungen in allen wichtigen Punkten und damit auf den Beweis, wenn der überhaupt noch nötig war, dass Zenos Vorfahren die nordischen Kolonien im Nordatlantik über ein Jahrhundert vor der Zeit des Kolumbus besucht hatten. 5
Der »Kensington Rune Stone«
Eine dicke Platte aus Grauwacke, ausgegraben von einem amerikanischen Bauern schwedischer Abstammung in Kensington, Minnesota, im Jahr 1898, ist allgemein als »Kensington Rune Stone« bekannt. Zunächst allerdings konnte die dramatische Geschichte, die da in Runen eingraviert und sorgfältig auf das Jahr 1362 datiert zu lesen stand, niemanden so recht beeindrucken. Der Haupttext auf der Stirnseite des Steins berichtet, dass eine Gruppe von Norwegern und Schweden bei der Erkundung weit im Westen Vínlands nach einem Tag auf Fischfang ins Lager zurückgekommen sei und zehn Männer »tot und rot vor Blut« dort vorgefunden hätte. Eine weitere Inschrift auf dem Rand des Steins fügt hinzu, dass sie zehn Männer bei ihren Schiffen gelassen hätten, die eine Reise von vierzehn Tagen entfernt seien, und gibt als Datum das Jahr 1362 an. Bisher ist auch nicht das kleinste Stückchen eines archäologischen Belegs für eine Anwesenheit von Nordmännern in diesem Gebiet gefunden worden, |247| und Fachleute, die den Stein direkt nach seiner Entdeckung bewerten sollten, waren nicht unbedingt überzeugt von seiner Authentizität. 1908 allerdings machte der selbsternannte Historiker Hjalmar Holand den »Kensington Rune Stone« zum Kronzeugen seiner eigenen Fassung der Geschichte der Nordmänner in Amerika: Er trat dafür ein, dass sowohl der Stein wie auch der »Newport Tower« Belege einer königlich-norwegischen Expedition seien, die man auf die Zeit zwischen 1355 und 1364 datieren könne und bei der Paul Knutsson, ein Vertrauter von König Magnus, eine Hauptrolle gespielt habe.
Holands Idee behauptet sich noch heute, obwohl der Befehl des Königs an Paul Knutsson, auf Ende 1354 datiert, nur
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