Mit Kurs auf Thule
Körperwärme zu steigern, trinkt er, statt zu alkoholhaltigen Getränken zu greifen, von denen er weiß, dass sie schädlich sind, reichlich warmen Tee … Die Mahlzeit, auf die er sich neben seinem Tee freut, besteht aus ein bisschen gegrilltem Speck und vielleicht einer kleinen Portion Haferbrei. 29
Offenbar machte Scoresby sich keine Illusionen in Bezug auf die Auswirkungen der arktischen Umgebung auf die menschliche Psyche:
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Ein arktischer Winter besteht aus einer Ansammlung fast aller atmosphärischen Phänomene, die der seelischen Gesundheit abträglich sind, verbunden mit dem Entzug jener Himmelsgaben, mit denen andere Teile der Erde in angenehmeren Klimazonen so reichlich beschenkt werden. Hier sind den gesamten Winter über Sonnenstrahlen weder zu sehen noch zu fühlen, dafür herrscht ewige Dunkelheit. Sie prägt zusammen mit gelegentlichen Winter- und Schneestürmen und einer Kälte, die den Menschen lähmt, jene Regionen, die mit dem menschlichen Empfinden eigentlich unvereinbar sind. 30
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|241| Postskriptum
Die Nordmänner in Nordamerika – Geschichte und Legende
Die mittelalterlichen Entdeckungsfahrten der Nordmänner in Grönland und Nordamerika haben lange Zeit diejenigen magisch angezogen, denen aus vielen Gründen erfundene Geschichten besser gefallen als die eigentlich weitaus faszinierendere Wirklichkeit, die sich durch die Forschung offenbart. 1
Auch die im 20. Jahrhundert gefundenen Belege für nordische Reisen von Grönland nach Westen haben diesen fantasievollen Vorstellungen über die Nordmänner mitnichten ein Ende bereitet, sondern die alternative Geschichtsschreibung, die sich mit »nordischen«, in Amerika gefundenen Gegenständen schmückt, nur noch weiter beflügelt. Dabei steht fest, dass die Ruinen von L’ Anse aux Meadows bisher die einzige bekannte nordische Wohnstatt in Nordamerika sind und dass selbst in Hochzeiten nur wenige nordische Grönländer für solche Reisen einsetzbar waren. Ähnlich wie bei anderen Diskussionen darüber, wer Amerika vor Christoph Kolumbus erreichte, ist ein aus »nordischen Wurzeln« genährter Chauvinismus verantwortlich für verschiedene abwegige Vorstellungen, die sich um die grönländischen Nordmänner ranken. Die Halsstarrigkeit von Hobbyarchäologen, Egomanie, unkritisches Konkurrenzdenken und sogar Rassismus können hinzukommen, doch all diesen Geschichten gemeinsam ist ihr Ursprung in nachkolumbischen Legenden und Mythen.
Zwei Legenden, die ebenso tief verwurzelte wie abwegige Vorstellungen über frühe britische Reisen nach Nordamerika hervorbrachten und die sich eng mit Fantasiegeschichten zu den Nordmännern berühren, sollen hier bis zu ihren Anfängen zurückverfolgt werden. Verfasst und verbreitet wurden diese |242| beiden Legenden offenbar mit dem Ziel, gegenüber den Spaniern englische Ansprüche auf Nordamerika geltend zu machen. Sie zeigen wunderbar, wie eine kleine Verdrehung der historischen Tatsachen zu einem gewichtigen Teil alternativer Geschichtsschreibung werden kann.
|243| Jarl Henry Sinclair von Orkney
Die ersten Körnchen der noch heute gut gedeihenden Geschichte über »Fürst« Henry Sinclair von Orkney sprossen nicht auf britischer Erde. Auch ein Henry kam zunächst nicht vor. Vielmehr hieß unser Held Zichmni und erblickte 1558 das Licht der Öffentlichkeit, als der venezianische Adlige Nicolò Zeno der Jüngere eine Karte des Nordatlantik vorstellte, die seinen Behauptungen nach wiederum auf einer Karte des späten 14. Jahrhunderts basierte, die er auf dem Dachboden gefunden hatte (vgl. Kapitel Zehn und Elf). Dazu gehörte ein Text, teils Erzählung, teils Korrespondenz, der angeblich aus derselben Zeit stammte und bei dem wie bei der Karte frühere Angehörige der Familie Zeno eine Rolle gespielt hatten: Nicolò, Antonio und Carlo.
Der ältere Nicolò Zeno hatte dem Bericht zufolge 1380 von Venedig aus eine Reise in den Norden angetreten und auf dem Rückweg auf einer Insel namens Frislanda Schiffbruch erlitten. Sie war »viel größer als Irland« und stand unter der Herrschaft des Königs von Norwegen, der gerade gegen einen kühnen Fürsten eines benachbarten Reiches namens Zichmni Krieg führte. Nicolò, ein Seemann par excellence, wurde Zichmnis Steuermann und diente ihm so gut, dass er zum Ritter geschlagen wurde. Darauf beschloss er, seinen Bruder Antonio nachkommen zu lassen. Es ist hier nicht nötig, alle Ereignisse und Orte aufzuführen, die in den nächsten vierzehn Jahren
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