Mit Kurs auf Thule
»Schwesterhandschriften« im Forschungslabor des British Museum entdeckt hatten. Damals war die angebliche Echtheit des neuerworbenen Schatzes schon tief im öffentlichen Bewusstsein verankert. Diese erste Untersuchung der drei Handschriften durch Spezialisten hatte zu verschiedenen auffälligen Beobachtungen geführt, die die Zeiten überdauert haben, von denen man aber selbst heute wenig weiß, weil sich die beiden Wissenschaftler in Diensten des Museum durch Yales Forderung nach Vertraulichkeit daran gehindert sahen, ihre Untersuchungsergebnisse zu veröffentlichen. Das änderte sich, als die amerikanischen Chemiker Walter und Lucy McCrone 1974 ihre eigene Untersuchung der Tinte auf dem Symposium vorstellten und damit die Ergebnisse von 1967 stützten. Die Untersuchungen der McCrones, auf Bitten Yales durchgeführt, hatten gezeigt, dass die Tinte der Karte keine herkömmliche mittelalterliche Eisengallusmischung ist und mikroskopisch kleine Kügelchen des Titanoxids Anatas in einer einheitlichen Größe enthält. Dieses Pigment konnte so erst nach 1917 für die Farbherstellung produziert werden. 18
Zusammen mit Baynes-Copes Belegen deutete die Analyse der McCrones stark darauf hin, dass die Karte erst nach dem Ersten Weltkrieg entstanden war. Wissenschaftler der University of California in Davis griffen die Untersuchungen der McCrones später an, ebenso auch andere, doch das Thema der Tinte galt allgemein kurz vor Walter McCrones Tod im Jahr 2002 als geklärt. |253| Damals veröffentlichten zwei britische Naturwissenschaftler, Robin J. H. Clark und Katherine L. Brown von den Christopher Ingold Laboratories, University College, London, eine Studie, mit der sie alle wichtigen Argumente von Werner, Baynes-Cope, den McCrones und Kenneth Towe, einem weiteren führenden amerikanischen Chemiker, der die
Vínland-Karte
für eine Fäschung hielt, bestätigten. Mit Hilfe der Raman-Spektroskopie, mit der sie die Karte und eine »Schwesterhandschrift« untersuchten, hatten Brown und Clark festgestellt, dass die Tinte der Karte auf Kohlenstoffbasis hergestellt wurde und keinerlei Ähnlichkeiten mit der Tinte der
Hystoria Tartarorum
, einer herkömmlichen Eisengallustinte, aufweist. Anatas – eine relativ seltene Form des Titanoxids – wurde nur in den gelblichen Linien gefunden, die bleiben, wo das schwarze Pigment abgefallen ist, und diese Anatas-Kristalle waren ausnahmslos industriell verändert, also erst nach etwa 1923 im Handel erhältlich. 19
Die Diskussion über die
Vínland-Karte
wird erst enden, wenn der letzte Fürsprecher der Karte verstummt – man hätte denken können, dass dafür schon der eindeutige Beweis der Tintenuntersuchung hätte ausreichen müssen, ganz zu schweigen von den kartografischen Merkwürdigkeiten und den offenkundigen Fehlinformationen über die Nordmänner. Doch leider halten sich Argumente zugunsten solcher Artefakte oft noch lange, selbst wenn wissenschaftliche Beweise auf höchstem Niveau wiederholt dargelegt haben, dass sie nicht halten, was sie versprechen. Immer wieder – und so auch bei den kartografischen und historischen Rätseln, vor die uns diese Karte stellt – kommt es zu von jedem Fachwissen abgekoppelten Haarspaltereien. Man sieht die Fehler jedoch mit bloßem Auge. Sie zeigen ohne jeden Zweifel, dass die Landkarte eine moderne Fälschung von jemandem ist, der sich hervorragend mit der Kartografie und Geografie der Mitte des 15. Jahrhunderts auskannte und ein großes Interesse an den mittelalterlichen nordischen Beutezügen nach Nordamerika hegte, aber doch offenbar auch beträchtliche Informationslücken hatte.
Zwölf Jahre archivalischer, kartografischer und historischer Forschung haben mich zu dem Ergebnis geführt, dass die Karte aller Wahrscheinlichkeit nach in den 1930er Jahren von dem deutschen Jesuitenpater Josef Fischer (1858–1944) gefälscht wurde, um antikatholische deutsche Nazi»Wissenschaftler« auf den Arm zu nehmen, die gerne lauthals mit ihrer angeblichen nordischen Vergangenheit prahlten, und ich habe auch nach meiner Veröffentlichung von
Maps, Myths, and Men: The Story of the Vínland Map
im Jahr 2004 keine Veranlassung gesehen, meine Meinung zu ändern. Die Enthüllung begann mit Belegen dafür, dass die
Vínland-Karte
unmöglich ein Produkt der Zeit um 1440 sein konnte, einfach weil Leif und Bjarni erstmals 1765 in der |254|
Historie von Grönland
des deutschen Herrnhuters David Cranz (1723–1777) gemeinsam auf Entdeckungsfahrt nach Vínland
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