Mit Nackten Haenden
der Dämmerung auf, die Felder schimmerten, Rehe wagten sich bis zum Waldsaum vor, um ein paar vergessene Ähren abzugrasen.
Wir aßen spät zu Abend, und immer draußen, weil es sehr heiß war. Die Hausmauern speicherten die Sonnenhitze und strahlten sie nachts ab, sodass es in den Zimmern nicht auszuhalten war. Im Garten war der Rasen ein Dschungel mit dicken, sonnenschirmförmigen Blüten, die auf einem Meer langer, schmaler, biegsamer Stängel wogten; der Farn wucherte so üppig, dass er monströs wurde, unten grün und dicht, die Spitzen rötlich verbrannt. Die Nächte waren endlose Oasen, samtig schwarz und sternenhell. Die Tage machten sich eifrig breit.
Zwischen Gio und mir entspann sich ein Netz aus unaufdringlichen Gesten, ein Verbindungsfaden aus unausgesprochenen Sätzen, uralten Witzen, hinter denen wir uns versteckten. Er verriet mir, welche Musik er liebte, Genesis vor Peter Gabriels Weggang, Pink Floyd in der Dark Side of the Moon -Phase. Hanebüchene Diskussionen, idiotische Kalauer, lauter Unsinn, um mich, die eher selten lachte, zum Lachen zu bringen: »Komm schon, lass mich nur machen, ich bin der König der Holzkohle, das ist die Gelegenheit«, verkündete er eines Abends, als er am liebsten gegrillt hätte, bei dreißig Grad Außentemperatur.
Zerstreute, empfindliche Tage, kupferne, blasse, ermattete Nächte.
Damals genossen wir noch Aufschub, aber da ließ sich das, was geschehen war, bereits nicht mehr ändern, und auch nicht das, was bald folgen sollte.
D as Ende der Hitzewelle bahnte sich an. Gewitter lagen in der Luft, drohend, lastend, drückend. Ich hatte Gio gebeten, den Rasen zu mähen. Den ganzen Tag fielen Gräser und Farne in sich zusammen. Der Geruch der Pflanzen, die, kaum geschnitten, schon zu trocknen anfingen, und der freigelegten Erde stieg uns in die Nase, löste Schwindel und Husten aus. Als die ersten Tropfen fielen, blieb gerade genug Zeit, um den Rasenmäher wegzustellen. Gio rettete sich unter das Vordach, wo ich ihn mit einem Handtuch empfing. Noch schweißgebadet und mit nacktem Oberkörper schüttelte er sich, er wollte das Sweatshirt, das ich ihm reichte, partout nicht anziehen. Er schubste mich hinaus in den Regen, versperrte mir den Weg zurück unter das Dach. Bibbernd versuchte ich, die Hemdsärmel samt triefenden Manschetten hochzuschieben. Der Stoff klebte an meiner Haut. Ich bekam Gänsehaut und begann zu zittern. Schließlich zog ich das Hemd aus und schleuderte es ihm ins Gesicht. Gio fing mich ein, hielt mich fest umklammert, damit ich nicht ausschlug, als wir eine Stimme rufen hörten: »Ist
jemand da?« Mit knapper Not kamen wir voneinander los, bevor der Pizzabote, der die falsche Adresse angesteuert hatte, hinter der Hecke auftauchte.
In diesem Moment klingelte das Telefon. Während Gio mit dem jungen Boten scherzte und ihn mit allen Mitteln dazu bewegen wollte, uns die Pizzas abzutreten, teilte mir Micol mit, dass ihre Mutter gestorben war. Weil der letzte Zug bereits weg war, bat sie mich, Gio am nächsten Morgen zum Bahnhof zu bringen, damit er den ersten Zug erwischte.
»Hat sie ihre geliebten Wandteppiche also doch noch losgelassen«, lautete Gios Kommentar, als ich ihm sagte, dass seine Großmutter gestorben war.
Wenn mir nur drei Worte zur Verfügung stünden, um diese letzte Nacht vor Gios Weggang zu schildern, würde ich dunkel, frisch und glühend wählen. Dunkel wie seine Augen, frisch wie sein Mund, glühend wie seine Hände, wie sein ganzer Körper.
Ich wurde von einem schrillen Schrei geweckt, und als ich mich verschlafen aufrichtete, bekam ich eine geknallt. Vor mir stand Micol. Wir sahen uns an, dann fiel sie in sich zusammen, als hätte man ihr ein Messer in den Bauch gerammt. Gio brummelte etwas und drehte sich auf die andere Seite.
Vor lauter Unruhe hatte sie sich nicht bis zum nächsten Morgen gedulden können, sie war noch spät in der Nacht aufgebrochen, zu spät, um uns darüber in Kenntnis zu setzen, dass sie Gio in den frühen Morgenstunden
selbst abholen und sie gemeinsam zu den anderen in die Toskana fahren würden.
Ich setzte Kaffee auf, während sie und ihr Sohn sich im Nebenzimmer stritten.
»Ich muss es wissen, hörst du, ich muss es unbedingt wissen!«
Falls es möglich ist, leise zu schreien, beschreibt das genau Micols Tonfall.
»Was musst du wissen? Erklär mir das mal, Mama, ich verstehe dich nicht.«
Ich war erstaunt, dass Gio ihr so ruhig und gelassen, beinah unbeteiligt antwortete. Diesen
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