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Mit Nackten Haenden

Titel: Mit Nackten Haenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simonetta Greggio
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Marmeladenbrote essen würdest.«
     
    Ich wollte nie Haustiere haben, aber ich sah, wie Gio sich allmählich mit dem dicken roten Kater anfreundete, der ein breites Kiefer und kampfzerfetzte Ohren hatte und jedes Mal zu schnurren anfing, wenn er seine Stimme hörte. Gio hatte ihn Nil genannt.
    Kaum kehrten wir abends heim, kam der Kater angerannt, mit geplustertem Schwanz und vor Freude blinzelnd. Als unermüdlicher Jäger legte er uns regelmäßig
Vögel und Spitzmäuse vor die Haustür. Nachdem er uns auf diese Weise seine Freundschaft bekundet hatte, fraß er die Tiere. Daran gewöhnt, sich selbst zu versorgen, wenn ihm niemand Nahrung gab, spielte er nicht mit seiner Beute. Mit einem harten, gezielten Schlag, so präzise ausgeführt wie ein Skalpellschnitt, brach er seinen Opfern die Wirbelsäule. Sie mussten nie leiden.
    Mit meinem stummen Einverständnis ließ sich Nil bei uns nieder.
    Gio war glücklich mit ihm. Überhaupt war er glücklich. Er war so, wie er schon als kleines Kind gewesen war, oft sehr fröhlich, manchmal plump, selten trotzig. Ein wunderbarer Gefährte, der sich an das Verhältnis von Mentor und Schüler hielt, das zwischen uns entstanden war. Nur nachts wich dieses Verhältnis ein wenig von dem ab, das zwischen mir und d’Aurevilly bestand.
    Raphaël und Micol riefen regelmäßig an, aber sie waren distanziert, mit den eigenen Sorgen beschäftigt. Im Grunde gleichgültig.

D iejenigen, die uns verletzt haben, behalten ungeheure Macht über uns. Liebt man sie etwa mehr als gewollt, weil man ihretwegen gelitten hat? Oder nutzen sie umgekehrt unsere übermächtige Liebe aus, um uns wehzutun?
     
    Es war an einem frühen Abend im September, es regnete und war schon dunkel. Als Micol nach Hause kam, zog sie Jacke und Schuhe aus und rannte sogleich ins Badezimmer, ohne sich einmal umzusehen. Nach geraumer Zeit klopfte ich an, verwundert über die Stille und die vorgerückte Stunde. Sie antwortete nicht. Ich öffnete die Tür einen Spalt breit. Ein langer weißer Vorhang verbarg die Badewanne. Ich ging hinein und schob ihn zur Seite. Ihr schmaler Kopf mit den nassen Haaren ruhte auf der rechten Schulter, die Augen hatte sie geschlossen. Der Schaum folgte den Konturen ihres Körpers, enthüllte die zarten Schultern und die Brüste. Ich streckte die Hand nach ihr aus, zog sie aber rasch wieder zurück, weil ich sie nicht aus dem Schlaf reißen wollte. Ich rief leise, ohne dass sie sich rührte. Da bekam ich
Angst. Als ich ihr kräftiger als beabsichtigt auf die Wange klopfte, schlug ihr Schädel gegen den emaillierten Wannenrand. Das dumpfe Geräusch erschreckte mich. Sie öffnete leicht die Augen, wobei nur das etwas grau angelaufene Weiße zu sehen war, und schloss sie wieder. Als ich sie aus der Wanne hob, fühlte sie sich schwer an. Ich schleppte sie noch splitternackt zur Toilette. Dort zwang ich sie, sich zu übergeben, mit zwei Fingern im Hals und den Kopf tief in die Schüssel gebeugt. Sobald ich sicher war, dass sie nichts mehr im Magen hatte, wickelte ich sie in ein großes Handtuch und trug sie in die Küche. Ich setzte sie auf einen Stuhl und wischte ihr mit einem feuchten Tuch über das Gesicht. Sie sprach nicht, reagierte nicht. Ich flößte ihr kalten Kaffee ein, der in der Kanne übrig geblieben war, und stützte sie dabei mit einem Arm im Rücken. Sie murmelte ein paar Worte ohne Zusammenhang und dann einen verständlichen Satz:
    »Ich bin kein böser Mensch … ich bin keine gemeine Egoistin … Stimmt doch, Emma …«
    Als ich sie in mein Bett gelegt hatte, verbot sie mir, einen Arzt zu rufen. Ich legte mich vollständig bekleidet zur ihr, nahm sie in den Arm und sprach mit ihr, damit sie nicht wieder einschlief. Tränen strömten ihr aus den Augen, Rotz tropfte ihr von der Nase. Sie wischte alles mit dem Laken ab. Ich wollte Raphaël im Büro anrufen, aber sie hielt mich davon ab. Von Schluckauf unterbrochen, erzählte sie mir, was los war.
    Raphaël und sie hatten sich gestritten. Sie seien beide zu verschieden, sie hätten nicht dieselbe Vorstellung
vom Leben, es wäre besser, diese Beziehung zu beenden, die ohnehin keine Zukunft habe, hatte er zu ihr gesagt. Mit heftig pochendem Herzen stand ich vom Bett auf. Micol stand ebenfalls auf und folgte mir torkelnd. Ich konnte kaum atmen, starrte unablässig auf eine rechteckige Bruchstelle unten am Marmorspülbecken, um sie nicht anzusehen. Die lange Stille, die dann eintrat, wurde von ihrem Schluchzen unterbrochen. Anschließend

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