Mit offenen Karten
andere Zeit und einen anderen Ort wählen sollen.»
Rhoda fragte rundheraus:
«Wer, glauben Sie, hat es getan? Dr. Roberts oder diese Mrs Lorrimer?»
Ein schwaches Lächeln umspielte Despards Lippen.
«Wer weiß, vielleicht war ich es selbst.»
«O nein», rief Rhoda. «Anne und ich wissen, dass Sie es nicht getan haben.»
Er blickte beide freundlich an.
Nette Mädchen. Voll rührender Vertrauensseligkeit. Ein schüchternes Geschöpf, die kleine Meredith. Macht nichts. Myherne würde ihr schon beistehen. Die andere war eine Kämpfernatur. Sie wäre anstelle ihrer Freundin nicht so zusammengeklappt. Wirklich nette Mädchen. Er wüsste gern mehr von ihnen.
Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Laut sagte er:
«Nehmen Sie nie etwas als erwiesen an, Miss Dawes, ich schätze das menschliche Leben weniger hoch ein als die meisten Leute. All dieses hysterische Getue wegen der Verkehrsunfälle zum Beispiel. Der Mensch ist ständig in Gefahr – durch den Verkehr, durch Bakterien, durch tausendundeine Sache. Eine Todesart ist so gut wie die andere. Sowie man anfängt, auf sich Acht zu geben und ‹vor allem Sicherheit› als Motto wählt, kann man meiner Meinung nach ebenso gut gleich tot sein.»
«Oh, wie Recht Sie haben», rief Rhoda. «Ich finde, man sollte schrecklich gefährlich leben – das heißt, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Aber im Allgemeinen ist das Leben viel zu zahm.»
«Es hat seine Glanzpunkte.»
«Ja, für Sie. Sie gehen in die Wildnis und werden von Tigern angefallen und schießen Löwen, und Sandflöhe vergraben sich in Ihre Zehen, und Insekten stechen Sie, und alles ist furchtbar unbequem, aber furchtbar spannend.»
«Nun, Miss Meredith hatte auch ihre Sensation. Ich glaube nicht, dass es oft vorkommt, dass man selber im Zimmer ist, während ein Mord begangen wird…»
«Oh, bitte nicht!», rief Anne.
Er sagte schnell:
«Verzeihen Sie.»
Aber Rhoda seufzte:
«Natürlich war es schrecklich – aber es war auch spannend! Ich glaube nicht, dass Anne diese Seite der Sache zu würdigen versteht. Wissen Sie, ich glaube, Mrs Oliver ist selig, dass sie an jenem Abend dort war.»
«Mrs…? O ja, die Frau, die die Bücher über den Finnen mit dem unaussprechbaren Namen schreibt. Versucht sie jetzt, im wirklichen Leben Detektiv zu spielen?»
«Sie möchte gern.»
«Nun, wünschen wir ihr Glück. Es wäre ein Spaß, wenn sie Battle & Co. eins auswischen würde.»
«Wie ist Superintendent Battle eigentlich?», fragte Rhoda neugierig.
Despard erwiderte ernst:
«Er ist ein außergewöhnlich kluger Mensch. Ein Mann von hervorragenden Fähigkeiten.»
«Oh», sagte Rhoda. «Anne meinte, er sähe eher dumm aus.»
«Darauf beruhen, glaube ich, seine Erfolge. Aber wir dürfen uns da nicht täuschen lassen. Battle ist kein Dummkopf.»
Er stand auf.
«Nun, ich muss fort. Ich möchte nur noch eines sagen.»
Anne war auch aufgestanden.
«Ja?»
Despard machte eine kleine Pause, um seine Worte sorgfältig zu wählen. Er nahm ihre Hand und behielt sie in der seinen. Er blickte ihr gerade in die großen, schönen grauen Augen.
«Sie dürfen mir nicht böse sein», sagte er. «Es ist immerhin möglich, dass in Ihrer Beziehung zu Shaitana irgendetwas war, von dem Sie nicht wünschen, dass es aufkommt. Wenn dem so ist – bitte nicht böse sein (er fühlte, wie sie ihm instinktiv ihre Hand entziehen wollte) –, so ist es in Anwesenheit Ihres Anwalts Ihr gutes Recht, Battle jede Antwort auf irgendwelche Fragen zu verweigern.»
Anne riss sich los. Ihre Augen weiteten sich und wurden dunkel vor Zorn:
«Es war nichts – nichts… ich habe den abscheulichen Kerl kaum gekannt.»
«Vergeben Sie mir. Ich hielt es für meine Pflicht, das zu erwähnen.»
«Es ist wirklich wahr», bestätigte Rhoda. «Anne kannte ihn kaum. Sie hat ihn nie recht gemocht, aber er gab eben schrecklich nette Gesellschaften.»
«Das», meinte Major Despard grimmig, «scheint die einzige Lebensberechtigung des verstorbenen Mr Shaitana gewesen zu sein.»
Anne sagte kalt:
«Superintendent Battle kann mich fragen, was er will. Ich habe nichts zu verbergen – nichts. »
Despard darauf sehr sanft: «Bitte verzeihen Sie mir.»
Sie blickte ihn an. Ihr Zorn verrauchte. Sie lächelte – es war ein sehr reizendes Lächeln.
«Es macht nichts. Ich weiß, Sie haben es nur gut gemeint.»
Sie reichte ihm wieder die Hand. Er nahm sie: «Wir sind Schicksalsgenossen, wissen Sie. Wir sollten gute Kameraden sein…»
Es war Anne,
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