Mit Pflanzen verbunden
Zahnfleischblutungen bewährt hat. Auch wenn man die nach Gewürznelke duftende Wurzel einfach kaut, hilft sie. Sofort spürt man ihre starke Gewebe zusammenziehende (adstringierende) Wirkung. Dass sie aber der Leber beim Entgiften helfen soll, war mir nicht bekannt gewesen. Es stimmt jedoch: Schon im Mittelalter verwendete man sie als Antidoton (Gegengift) bei Vergiftungsfällen.
Damals erklärte man sich die Wirkung nicht durch die molekularen Inhaltstoffe, sondern durch den Einfluss der Engel oder der Heiligen. Die Nelkenwurz war Benedikt, dem Gründer des ersten Klosters in Europa (Monte Casino, 345 n.Chr.), geweiht. Er war ein äußerst strenger Abt. Er duldete keine Laxheit und menschliche Schwäche. Seine Mönche, die in ständiger Erinnerung an ihre Sündhaftigkeit schwarze Kutten trugen, mussten ein hartes asketisches Leben führen. Die Mönche rebellierten. Sie beschlossen ihren Peiniger, den Abt, zu töten. Heimlich gossen sie Gift in den Messwein. Als Benedikt dann anhob, die Messe zu zelebrieren und den Schluck aus dem heiligen Kelch zu nehmen, ballte sich das Gift zusammen und kroch in Schlangengestalt über den Rand des Messkelchs hinaus. So wurde Benedikt auf wundersame Weise vor dem Gifttod gerettet. Der Messkelch, aus dem eine Giftschlange kriecht, ist das Attribut dieses Heiligen geworden.
Indem man die Nelkenwurz mit dem heiligen Benedikt in Verbindung brachte, sagte man über ihre Wirkung aus: Diese Wurzel hat dieselbe Macht wie der Heilige, sie konzentriert das Gift und leitet es aus. Um die giftwidrige Wirkung zu steigern, grub man die Wurzel an seinem Namenstag aus. Das war der 21. März, gleichzeitig der Tag der Frühlingstagundnachtgleiche – ein Datum, das den hohen Stellenwert dieses Heiligen unterstreicht.
Pflanzenverbündete
In diesem Buch will ich aber nicht in der großen Perspektive verweilen – das habe ich anderswo schon getan 1 –, sondern ganz persönlich von meinen „Pflanzenverbündeten“ erzählen. „Verbündete“, so nennen die Indianer jene Pflanzengeister, die ihnen persönlich erschienen sind, ihnen Kraft gegeben haben und mit ihrem Leben verbunden sind. Es sind Freunde aus dem „grünen Volk“, auf die man sich verlassen kann. Auch wenn man oberflächlich viele Pflanzen mit Namen kennt oder auch um ihre heilkundliche Bedeutung weiß, so sind es nur wenige, die man als „Verbündete“ bezeichnen kann. Es ist wie mit anderen Menschen: Man hat viele Bekannte, doch echte Freunde lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen – wenn man Glück hat, eventuell an beiden Händen.
Die Auswahl und Reihenfolge, die hier getroffen wurden, sind willkürlich. Gern hätte ich noch die Echte Kamille (Matricaria chamomilla) – wohl das erste Kräutlein, mit dem ich, schon als Wickelkind, in Berührung kam – in dieses Buch aufgenommen. Mit dieser Blume, die einst dem Sonnengott Baldur geweiht war und in Skandinavien noch immer „Baldurs Braue“ heißt, hat meine Großmutter richtig gezaubert. „Kamillen statt Pillen“ hätte auch ihr Leitspruch sein können. Bei Magenbeschwerden, „Bauchkneipen“, Krämpfen, Halsentzündungen, zum Waschen von Schürfungen und manch anderem Wehweh, das Kinder und gelegentlich Erwachsene befällt, setzte sie Kamille ein. Schon der freundliche Duft des heißen Tees versprach Linderung und Heilung. Und wenn sie dann das Mantra „Nun, das wird schon wieder!“ sagte, war das Schlimmste meist schon vorüber. Der Oma konnte man ja glauben, sie sagte immer die Wahrheit! Noch heute, wenn es mir wirklich schlecht geht, stehe ich auf und koche mir einen Kamillentee. In dem Duft erscheint mir die Großmutter, und noch ehe ich die Tasse ausgetrunken habe, geht es mir besser. Kamille ist überhaupt eine himmlische Pflanze, ganz dem Licht hingegeben. Ihr entzündungshemmendes ätherisches Öl, das Chamazulen, ist blau wie ein unbewölkter Sommerhimmel.
Auch die Strahlenlose Kamille (Matricaria discoidea, Chamomilla suaveolens) , die auf festgetrampelten Wegen, neben Breitwegerich und Vogelknöterich wächst, ist ebenfalls ein Freund. Den kegelförmig gewölbten, grüngelblichen Blütenköpfen fehlt der Strahlenkranz weißer Zungenblüten, dafür aber duften sie wunderbar nach Ananas. Das Aroma macht sie, neben Gänseblümchen und Pusteblumen, zu einer der beliebtesten Kinderpflanzen. Pineapple weed, „Ananaskraut“, nannten wir sie in Ohio. Erwachsene übersehen das Pflänzchen meistens oder betrachten es abschätzig oder gar fälschlich als
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