Mit Pflanzen verbunden
einen solchen Kranz im Haar – wahrscheinlich auch, damit der Tänzer nicht „wegfliegt“, sondern mit der Erde verbunden bleibt.
Heutzutage schmunzelt man über solchen Aberglauben. Aber in Zeiten, als unsere Sinne noch nicht von endlosen Unterhaltungsprogrammen, Maschinenlärm und technischen Ablenkungen gefangen genommen wurden, als das tägliche Naturerlebnis noch unmittelbarer war, da bedurfte es kaum starker psychedelischer Drogen, um die zarten Spuren des „Andersweltlichen“, die ätherischen Hauchgestalten, wahrzunehmen. Da genügte wohl die herb-würzige Ausdünstung dieser Pflanze, um die seelische Wahrnehmung anzuregen. Physiologisch wirkt das Aroma ja bis ins limbische System unseres Hirns hinein. Auf jeden Fall trage ich, wenn ich Vorträge halte, gern etwas Gundermann hinter dem Ohr oder ins Haar geflochten. Das gibt mir das Gefühl, auch in der Stadt, in einem sterilen Raum, umgeben von Elektronik, mit der Erde und den klugen erdbewohnenden Heinzelmännchen verbunden und ihren Eingebungen gegenüber offen zu sein.
Die Gewöhnliche Wegwarte (Cichorium intybus) mit ihren himmelblauen Blüten ist mir ebenfalls seit langem eine Weggefährtin. Schon in den alten Papyrustexten wird ihre Heilkraft gepriesen. Vor allem bei Leber- und Galleleiden ist sie eine Heilerin. Bei den Kelten galt sie als Braut der Sonne, die Verkörperung der Pflanzengöttin, die mit dem Sonnengott vermählt ist. Am Wegrand steht sie und hält ständig Ausschau nach ihm, wenn er am Morgen seinen Wagen auf den Zenit hinlenkt. Kurz vor Mittag schließt sie ihre Blüten, wobei jede Blüte nur einen Morgen lang blüht und dann verwelkt. Im Mittelalter sah man in ihr ein blauäugiges Mädchen, das weinend am Wegrand steht und nach Osten schaut, da ihr Ritter, im Kreuzzug nach Jerusalem, in diese Richtung geritten war und nie wieder zurückkehrte. Mit dieser Blume heilte man die Schwermut, Traurigkeit und Melancholie – die ja oft auch auf organischer Ebene mit der Leber zu tun hat (Scheffer/Storl 1995: 87). Als Leberheilmittel lernte ich die schöne Pflanze in Indien kennen, als ich in einer kleinen Hütte am Ganges mit einer schweren Leberentzündung darnieder lag. Sie wuchs, feldmäßig angebaut, neben dem Haus. Die Inder brauen aus den Samen ein kühlendes Sommergetränk. Die Wegwarte – ich trank einen aus den Stängeln und Blättern hergestellten Tee – begleitete mich auf dem Weg der Genesung. Auf einem Bauernhof im Emmental lernte ich sie von einer anderen Seite kennen: Wegwartenwurzeln wurden im Herbst ausgegraben und dann im Winter in guter Erde zum Austreiben gebracht. Das Resultat war der heutzutage so populäre Brüssler Endiviensalat.
Den Sanikel (Sanicula europaea) , der in schattigen, feuchten Wäldern wächst und dessen Blätter leicht mit denen des giftigen Hahnenfußes zu verwechseln sind, lernte ich erst im Allgäu von den Bauern kennen. Beim armen Landvolk im Westallgäu, in Vorarlberg und Appenzell, das sich keine Ärzte leisten konnte, war dieser unscheinbare Doldenblütler ein Allheilmittel. Die würzige Pflanze wurde vor der Blüte gesammelt, gedörrt und dann zu einem Heilpulver verrieben, das bei Magen-Darm-Problemen, Lungenbeschwerden und zur Wundheilung verwendet wurde. Inzwischen ist „Saunigel“ auch bei uns Teil der Hausapotheke.
Der Kalmus (Acorus calamus) , auch Deutsche 2 Magenwurz genannt, soll hier nicht vergessen werden. Es handelt sich um ein schilfähnliches Aronstabgewächs mit stark aromatischen Wurzeln, das an Teichrändern und feuchten Gräben wächst. Die Sumpfpflanze kommt ursprünglich aus Indien. Ihr Sanskritname ist Vacha, „Sprechen“. Sie ist der Saraswati, der Göttin des schöpferischen Wortes, der Shakti des Schöpfergottes Brahma, geweiht. Diese jungfräuliche weiße Göttin mit dem Schwan ist die Muse aller Heiler, Dichter und Sänger. In diesem Sinne wird das Wurzelpulver „hirntonisch“ als intelligenz- und gedächtnisförderndes Mittel verwendet, aber auch bei Störungen des Nervensystems, bei Hysterie, Epilepsie, Neuralgien und Ohrensausen, außerdem bei Bluthochdruck, Husten und Asthma sowie gegen Magersucht (Anorexia nervosa) . Für Männer ist ein Bad mit der beigefügten Abkochung einer fingerlangen Wurzel ein entspannendes Aphrodisiakum.
Nicht nur in Indien, sondern überall auf meinen Wanderungen bin ich dieser Pflanze begegnet. Die Cheyenne benutzen die „Bitterwurzel“ (Wi uhk is e eyo) gekocht bei Magenbeschwerden, reiben sie bei fieberigen
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