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Mit Pflanzen verbunden

Mit Pflanzen verbunden

Titel: Mit Pflanzen verbunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf-Dieter Storl
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entspannt und langsam den Waldweg entlang. Dann, nach etwa zwanzig Metern, drehte er sich noch einmal um, als wollte er sich verabschieden, und verschwand im Gebüsch. Staunend und von dem Erlebnis überwältigt, kletterte ich den steilen Felspfad wieder ins Tal hinab. Morgen würde ich die Kursteilnehmer hier hochführen und ihnen die Tollkirsche zeigen.
    Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, machte sich unsere Gruppe, bestehend aus rund zwölf Pflanzenfreunden, auf den Weg. Es war ein angenehm warmer Spätsommertag, die Sonne strahlte aus einem wolkenlosen blauen Himmel. Als wir auf halber Höhe waren, sahen wir von Westen her eine kleine sahneweiße Wolke über der Jurakette aufsteigen. Immer höher erhob sie sich. Im Nu verwandelte sie sich in einen großen grauen Gewitterbock, der zielstrebig in unsere Richtung zog. Bald bedeckte er den ganzen Himmel. Ein heftiger Wind hob an. Aus dem wühlenden Grauschwarz zuckten Blitze und plötzlich peitschte ein heftiger Regen, der sich in Hagel verwandelte, auf uns nieder. Die arglosen Wanderer suchten Schutz vor dem himmlischen Trommelfeuer, wo sie nur konnten. „Es ist nicht mehr weit bis zur Tollkirsche!“, rief ich und rannte, die Hände zum Schutz gegen den Hagel über den Kopf haltend, in Richtung der Pflanze. Nur drei oder vier völlig durchnässte Teilnehmer wagten mitzurennen. Der Rest machte gar nicht erst den Versuch.
    „Da steht sie!“, schrie ich in den tosenden Sturm hinein und zeigte auf die Staude, aber es war unmöglich, auch nur stehen zu bleiben und sie näher zu betrachten. So schnell wir konnten, flohen wir, über gefährlich glitschige Steine stolpernd und rutschend, den Hang hinunter. Als wir die anderen erreichten, hörte der Hagel auf. Es dauerte nicht lang, da hörte es auch auf zu regnen. Auf halbem Weg nach unten zogen sich die grauen Wolken zurück, die Sonne schien wieder. Als wir das Tal erreicht hatten, war der Himmel wieder strahlend blau. Unten war es trocken, es hatte nicht einen Tropfen geregnet. Was für eine machtvolle Pflanze! Es schien, als wollte sie uns ein Zeichen geben: Sie wollte sich nicht der bloßen Neugier preisgeben. Wie kann man dafür Worte finden?
    Im nächsten Jahr veranstaltete Sphinx-Workshops wieder einen Pflanzenkurs mit mir in Langenbruck. Ich nahm mir vor, auch diesmal die Gruppe zu der Tollkirschstaude zu führen, und ihr mit einem kleinen Ritual, einem Puja, die Ehre zu erweisen. Die Wanderung den steilen Felspfad empor verlief ohne Schwierigkeiten. Kein Gewitter, kein Hagelsturm versperrte uns den Weg. Dann aber, als wir die Pflanze sahen, waren wir entsetzt. Zerbrochen und niedergetrampelt lag sie auf dem Boden. Jemand hatte sie mit einem Stock übel zugerichtet – wahrscheinlich ein besorgter Tugendbold, der sie als böse Giftpflanze erkannt hatte. Es bestand ja die Gefahr, dass ein Kind an den heimtückisch süß schmeckenden Beeren naschen und sich dabei vergiften könnte! Da ist es doch richtig, dass man das Teufelskraut gleich vorbeugend zerstört, ehe es sich versamt, vermehrt und Schaden anrichtet. Es war schon immer Aufgabe der Guten, das Böse zu bekämpfen – Fliegenpilze zu zertrampeln, Spinnen zu zerquetschen, Schlangen und andere giftige Tiere zu töten, politisch Unkorrekte mundtot zu machen und so weiter –, wo immer man es auffindet. Mit einer solchen Einstellung wird man aber selbst zum Frevler. Der liebe Gott oder Mutter Natur sind weiser als unser beschränkter Verstand, und sicherlich haben auch diese Geschöpfe eine Daseinsberechtigung.
Wolfgeister
    Nachdem die Tollkirsche mich gesehen hatte, meinte ich, es sei an der Zeit, ihre Kraft besser kennen zu lernen und eine Salbe aus ihr herzustellen. Das würde mir, dem Kulturanthropologen, auch helfen, gewisse kulturelle Erscheinungen wie das mittelalterliche Hexenwesen oder veränderte Bewusstseinszustände besser zu verstehen. Ich sorgte dafür, dass alles richtig und in guter geistiger Gesinnung gemacht wurde: Der Ort, an dem die Beeren gesammelt wurden, war ein alter Kraftort; beim Kochen der Beeren im Fett der Weihnachtsgans wurden Mantras und Obertöne gesungen, die zentrierend wirkten. Ich achtete auch darauf, dass keine „negativen“ oder unglücklichen Gedanken mit in den Sud hineingerührt wurden. Der alte Aberglaube besagt, dass alles, was man während der Zubereitung denkt, „Wirklichkeit“ wird. Um im Einklang mit dem Kosmos zu bleiben, wurde rhythmisch und sonnenläufig (im Uhrzeigersinn) gerührt. Auch die

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