Mit Pflanzen verbunden
Mondstellung und die Konstellationen des Tages wurden berücksichtigt. Vom materialistischen Standpunkt aus gesehen scheint das alles überflüssig zu sein. Man glaubt, es gehe ja nur um Tropanalkaloide, um chemische Verbindungen und deren Wirkung auf Synapsen des Nervensystems. Aber Völkerkundler bestätigen, dass überall auf der Welt die Herstellung solcher Dinge mit großer ritueller Vorsicht bedacht wird. Man achtet auf jedes Detail, und jeder Schritt wird mit Gebet und heiligem Gesang begleitet. Alles, sagen die Eingeborenen, auch die Gedanken und Gefühle, sind „Zutaten“ und beeinflussen letztendlich die Wirkung.
Als die Salbe abgekühlt war, rieb ich versuchsweise eine geringe Menge in die Armbeuge und beobachtete, was nun mit mir geschah. Plötzlich zeigte sich ein Wolf im Fenster und schaute in die Stube. Er war lebensecht, ich hörte ihn hecheln. Unvorbereitet hätte man einen riesigen Schrecken bekommen, aber ich schaute ihn ruhig an. Er war der Schwellenhüter zur Anderswelt. Auf einmal verwandelte er sich in eine wild aussehende Person, einen Waldschratt vielleicht, und lud mich ein, ihm in den Wald zu folgen. Da ich aber keinen Grund hatte, mich in diese Dimensionen zu begeben, keine Fragen, deren Antworten nur in der wilden Wurzelwelt zu holen sind, bedankte ich mich und blieb auf dieser Seite des Seins. 6 Reine Neugier hat in diesen Bereichen keinen Platz und ist gefährlich. Vor diesen Welten und ihren Bewohnern sollten wir Respekt haben.
Interessant ist auf jeden Fall die Erscheinung des Wolfs. Wolfsverwandlungen, Werwolfphänomene und Visionen von Wölfen werden im Zusammenhang mit der Tollkirsche immer wieder erwähnt. Carl Kiesewetter (1854–1895), der bei einem seiner Selbstversuche das Leben verlor, und andere Volkskundler sprechen von „seelischem Rapport“ mit diesen Tieren, von „Sympathie“ oder „astralkörperlichem Rapport“ mit wirklichen Wölfen (Schrödter 1981: 117). Ebenso wie die Seele der Ginsengpflanze dem Pflanzensammler als Tiger erscheinen kann oder die der Wegwarte als Hirsch, so erscheint die Seele der Tollkirsche mit Vorliebe in der Astralgestalt eines Wolfes (oder Marders). Was kann man auch anderes bei einer Pflanze Odins erwarten, da Odin Herr der Wölfe ist.
Die Tollkirsche hinterließ in der menschlichen Geschichte eine Spur von Wahnsinn und Tod, wie die folgenden Beispiele bezeugen:
Im elften Jahrhundert schlugen die Dänen das schottische Heer. Sven Knutson, der Anführer der Dänen, vereinbarte im Waffenstillstandsabkommen unter anderem, dass die Schotten mehrere Fässer Wein schicken sollten. Man wollte den Sieg ordentlich begießen. Die Schotten aber mischten Tollkirschsaft in den Wein. Als die Sieger dann im narkotischen Delirium lagen, töteten die Schotten sämtliche dänischen Krieger.
Renate Singer, die Subpriorin des Klosters Unterzell, war unter den Betschwestern unbeliebt. In der Nähe der unheimlichen Frau soll es gespukt haben. Als man in ihrem Garten „Bärmutz“ (Tollkirsche) fand, war sie überführt. 1746 wurde sie als Zauberin enthauptet.
Noch immer fordert die Belladonna ihre Opfer, in den letzten Jahren besonders unter Möchtegernzauberern und Pseudoschamanen und unter Jugendlichen, die sich davon einen „natürlichen“ Trip versprechen und sich dabei eine Reise in die Anderswelt ohne Wiederkehr einhandeln. Angeblich gibt es inzwischen mehr Tote durch diese „natürliche“ Droge als durch Heroin oder synthetische Substanzen. Aber auch wenn man mit dem Leben davonkommt, lässt die Belladonna denjenigen, der in ihre Hände gefallen ist, nicht so leicht wieder los. Im alten Angelsächsischen nannte man die Tollkirsche Dwale (englisch dwell berry, dänisch dvalebeere ). Dwale oder Dwell bedeutet Trance, Entrückung, aber auch haften bleiben, an etwas (aus der Vergangenheit) gefesselt oder des eigenen Willens beraubt sein. Einer, der der Macht der Tollkirsche verfallen war, wurde als „Dweller“ (Dwaler) bezeichnet, was fast den Beigeschmack eines Zombies hat. 7
Vor einiger Zeit kam meine Frau ins Schreibzimmer, wo ich arbeitete. „Da draußen steht irgendein Mann und starrt ganz abwesend das Haus an“, sagte sie beunruhigt. Ich solle mal nachsehen, was er wolle. Ich plusterte mich auf, holte tief Luft und trat hinaus. Tatsächlich stand da ein langhaariger, etwas verwahrloster Hüne. Geistesabwesend, als schaute er in eine unsichtbare Welt, starrten seine blauen Augen auf die Hausfassade. Als er mich wahrnahm, kam er
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