Mit reinem Gewissen
Rechtsstaats dazu, dass sie zentrale Entscheidungen prägen konnten. Dabei brachten sie Elemente der juristischen NS-Doktrin, die sich an den politischen Zielen des Regimes – zumal gegen bestehende Rechtsschranken – orientiert hatten, vielfach erneut in Geltung.
Die Beiträge des Bandes beziehen sich im Wesentlichen auf drei miteinander verbundene Fragen: die Rolle der Militärjustiz in der NS-Diktatur, den Umgang mit ihr in der Bundesrepublik und der Rolle früherer Wehrmachtjuristen in der Nachkriegsperiode Westdeutschlands, verbunden mit einem kurzen Blick auf die DDR.
Im Vordergrund steht zunächst eine an rechtsstaatlichen Maßstäben orientierte Darstellung der Wehrmachtjustiz und ihrer Adepten wie der vormaligen Gerichtsherren Kesselring, Eduard Schörner und Erich v. Manstein. Der frühere Kriegsrichter Otto Peter Schweling vertrat in einer Studie die Ansicht, bei der Wehrmachtjustiz habe es sich um eine unabhängige Gerichtsbarkeit gehandelt, die sich von den politischen Zielen des Hitler-Regimes klar unterschieden habe und allein nach rechtsstaatlichen |18| Prinzipien verfahren sei. Diese Auffassung herrschte in der Justiz und der Wissenschaft lange vor. So war es konsequent, wenn bei einer Stellenbewerbung einem Wehrmachtjuristen eine besondere Befähigung für die neu aufzubauende Justiz zugesprochen wurde und nicht wenige führende Wehrmachtjuristen in der Justiz und in rechtswissenschaftlichen Fakultäten der Bundesrepublik eine zentrale Rolle zu spielen begannen.
Die Wiederverwendung von Wehrmachtjuristen führte dazu, dass die Opfer der Militärjustiz des Dritten Reichs wie oppositionelle Offiziere oder einfache Soldaten, die wegen Wehrkraftzersetzung – und das hieß die Infragestellung von Hitlers Krieg, in dem das Völkerrecht mit Füßen getreten wurde – angeklagt und meist zum Tode verurteilt wurden, unter den Bedingungen der Geltung des Völkerrechts in der Rechtsordnung der Bundesrepublik (Art. 24GG) weiter als Verräter galten und lange Zeit keine Entschädigungszahlungen erhielten. Die machtstaatliche Struktur der Wehrmachtjustiz wurde in der Bundesrepublik vor allem unter dem Einfluss von Erich Schwinge, dem früheren Kommentator des Militärstrafgesetzbuchs und späteren Strafrechtler an der Universität Marburg, weiter wirksam. Nicht wenige Verfahren wegen Justizverbrechen und völkerrechtswidriger Handlungen der Wehrmacht endeten mit Freisprüchen bzw. der Einstellung des Verfahrens. Das Ermittlungsverfahren gegen den Generalrichter Roeder, der im Reichskriegsgericht als Untersuchungsführer gegenüber Dietrich Bonhoeffer und der Widerstandsgruppe »Rote Kapelle« fungierte, endete auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit der Einstellung des Verfahrens. Die Begründung des Lüneburger Staatsanwalts, der seit 1938 im Amt war, lautete, dass der politische Widerstand gegen Hitler, der vor allem auf die Wiederherstellung der unabdingbaren Geltung des Rechts gerichtet war, ein strafrechtlich zu ahndendes Verbrechen sei.
Die Legitimation der Militärgerichtsbarkeit des NS-Regimes wurde erst 1991 durch ein Urteil des Bundessozialgerichts beendet. Die Entscheidung rezipiert Ernst Fraenkels klassische rechtstheoretische Analyse des nationalsozialistischen Maßnahmenstaats |19| (»Der Doppelstaat«), für den Rechtspositionen – ausgenommen das für sogenannte Arier geltende Privatrecht – keinerlei Schranken bildeten. Zugleich orientiert sich das Urteil an den bahnbrechenden historischen Forschungen Manfred Messerschmidts, der sich im vorliegenden Band mit den Opfern der Militärjustiz befasst. Messerschmidt hatte gezeigt, dass die Wehrmachtjustiz den politischen Vorgaben des Regimes folgte ungeachtet einiger Ausnahmen wie des – von Otto Gritschneder erforschten – Kampfes gegen ein geplantes Todesurteil gegen einen Halbwüchsigen.
NS-Militärjuristen entfalteten – und auch dies ist bisher kaum im öffentlichen Bewusstsein – in Schlüsselfragen der allgemeinen Rechtsentwicklung eine prägende Wirkung. Die im Buch genauer analysierte Tätigkeit der ehemaligen Wehrmachtrichter Ernst Mantel, Rudolf Börker und Werner Massengeil, die am Bundesgerichtshof und an einem Amtsgericht tätig waren, lässt sich zeigen, in welchem Maße sie an der Auflösung rechtsstaatlicher Positionen beteiligt waren.
Die Anwendung nationalsozialistischen Ausmerzungsrechts gegen Widerstandskämpfer wie Admiral Canaris und General Oster, die Anfang April 1945 in einem Schnellverfahren im
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