Mit sich selbst befreundet sein
Gentechnologien. Was jedoch die Gene angeht, so heißt das Zauberwort Humangenetik , für die einen »das Übel« schlechthin, für andere »das Gute« allein; doch eine duale Sichtweise wird ihren enormen Risiken und Chancen kaum gerecht. Die große Hoffnung gilt heilenden Gentransfers, einer somatischen Gentherapie , um nicht länger an Symptomen zu laborieren, sondern Krankheiten an ihren Wurzeln zu heilen, indem die Disposition dazu beseitigt wird. Welche Möglichkeiten sich eröffnen und welche Konsequenzen sie jeweils zeitigen, lässt sich dabei letztlich nur im Experiment erproben; aber wie viele missglückte Experimente an anfänglichem wie ausgewachsenem Leben werden nötig sein, um nur eine einzige gesicherte Erkenntnis zu gewinnen? Menschen werden in ihrer Verzweiflung noch die letzte sich bietende Chance wahrnehmen, und im Zweifelsfall bin ich selbst derjenige, der dazu bereit ist, wennauch mit kaum zu kalkulierenden Folgen: Eine Krankheit wird vielleicht an ihrem Ursprung beseitigt, eine andere bricht dafür an unerwarteter Stelle plötzlich hervor. Das völlige Freisein von Krankheit, Schmerz und Leid, so lässt sich prognostizieren, wird auch mit gentechnischen Mitteln nicht erreichbar sein; eher wird ein neuer Begriff von Tragik das 21. Jahrhundert durchziehen. Und sollte ein »neuer Mensch« geschaffen werden, so wird es im Grunde wohl der alte sein, wieder heillos von Gegensätzen und Widersprüchen gezeichnet, da das Leben hartnäckig seine Polarität gegen alle Übergriffe behauptet und ein Leben gänzlich frei von Übeln ohnehin kein erfülltes Leben mehr sein könnte, fern davon, Menschen zu »beglücken«.
Eine Zeit endloser Versuche wird dennoch zu durchstehen sein, die zudem zur Zeit einer experimentellen Evolution werden kann, da sie über Therapien hinaus auch die Konzeption und Produktion neuer Wesen möglich macht. Wo sollen die Grenzen dafür gezogen werden? Angesichts weit reichender Möglichkeiten und Gefahren ergibt sich auch aus individueller Sicht die Notwendigkeit einer Beteiligung an der Diskussion über gesellschaftliche Regelungen und Gesetzgebungen, denn diese eröffnen und begrenzen den Raum der individuellen Wahl. Das einzelne Selbst bedarf wie die gesamte Gesellschaft nach der Befreiung von natürlichen Vorgaben einer Formgebung der Freiheit , und jedes Selbst entscheidet mit seiner bei politischen Abstimmungen getroffenen Wahl darüber mit, wie sie grundsätzlich und im Detail aussehen soll. Auch die menschliche Würde , die häufig als Richtlinie für Forschung und Technologie ins Feld geführt wird, ist dabei nicht etwa eine zuverlässige Größe, die von selbst schon definiert wäre; sie ist vielmehr eine Frage der Festlegung, die zunächst eine Angelegenheit des einzelnen Selbst ist, eine Frage seiner ästhetischen Ethik: Was kann als schön und bejahenswert im Einzelfall, sodann für die Allgemeinheit gelten? Um den Begriff der Würde aufrechtzuerhalten, erscheint es ratsam, mögliche Ausnahmen für Zwecke der Forschung sehr genau und eherrestriktiv festzulegen, und dies Schritt für Schritt, um so vorsichtig wie möglich vorzugehen.
Ein zentraler Maßstab kann die Überlegung sein, was ich für richtig halten würde, wenn ich unmittelbar betroffen wäre: Bin ich bereit, auf die Resultate einer Forschung selbst in der Not einer unheilbaren Krankheit zu verzichten? Würde ich Organe akzeptieren, die auf dem Weg eines »therapeutischen Klonens«, also durch Aufzucht aus körpereigenen Genen hergestellt würden, wenn mein Leben davon abhinge? Daraus ergeben sich in aller Regel andere Folgerungen als bei der forschen Festlegung dessen, was für andere und sogar für alle gelten soll; ein generelles Verbot von Genforschung und Gentechnologie kommt dann kaum mehr in Betracht. Letztlich handelt es sich jedoch, aufgrund der planetaren Beweglichkeit von Menschen und Gütern, um eine Angelegenheit, die den Rahmen jeder einzelnen Gesellschaft sprengt und vor Augen führt, dass das Selbst Bürger einer Weltgesellschaft ist. Wie lassen sich Regeln für die Weltgesellschaft finden und auch umsetzen? Ein Auslöser vieler Schwierigkeiten, immerhin auch ein Ansatzpunkt für einige Lösungen ist die Wahl, die das jeweilige Selbst in seiner Situation trifft, bezogen auf die Bedingungen, mit denen es selbst zurechtkommen muss, und die Vorstellungen vom Leben, die es sich macht.
Sich genetisch selbst gestalten?
Zweifellos handelt es sich bei der Gentechnologie letztlich um eine
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