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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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ein aufwändiges Doping verzichten. Frei wäre das Selbst auch zu einer längeren Lebensspanne, dank des noch im Jahr 2000 entdecktenGens Indy (» I ’m n ot d ead y et«), das Menschen mit Fruchtfliegen gemein haben, bei denen, wie sich zeigt, eine Mutation dieses Gens die Lebensspanne verdoppelt, und dies bei voller Vitalität bis ins hohe Alter von 70 statt nur 37 Tagen. So wäre das Leben endlich zu verlängern – aber wie lange, um nicht zu langweilig zu werden? Zu jeder einzelnen dieser Möglichkeiten wird das Selbst sich so oder so zu verhalten haben. Die ganze zurückliegende Zeit in der Geschichte der Menschheit aber, in der positive Festlegungen der genetischen Ausstattung noch keine Frage der Wahl waren, wird angesichts neuer quälender Fragen im Rückblick noch in sehr rosigem Licht erscheinen.
    Und nicht nur die Gestaltung seiner selbst, sondern auch die genetische Gestaltung anderer steht in Frage, um sich die Umwelt so zurecht zu machen, dass es sich in ihr leben lässt. Immer schon scheint dies Bestandteil der Evolution in der Geschichte der Menschheit gewesen zu sein: nie nur an gegebene Umstände sich anzupassen, sondern diese Umstände sich auch passend zu machen. Auf relativ harmlose Weise betrifft dies unter den neu entstehenden Verhältnissen beispielsweise genetische Manipulationen an Pflanzen (»die pflegeleichte, mückenabsorbierende, wohlriechende Wohnzimmerpflanze«), auch an Tieren (»das ideale Haustier«). Auf weniger harmlose Weise betrifft dies die genetische Gestaltung anderer Menschen aus dem Interesse an der Gestaltung des eigenen Lebens heraus; vor allem die Gestaltung des eigenen Nachwuchses, der nicht nur frei von Erbkrankheiten gehalten, sondern auch mit dem erwünschten Geschlecht und den erdachten Eigenschaften, etwa einer gesteigerten Intelligenz, ausgestattet werden kann. Eine pränatale Diagnostik macht es längst schon während der Schwangerschaft möglich, die erbliche Belastung eines Kindes zu erkennen und sein Leben zu beenden. Eine Prä-Implantations-Diagnostik (PID) ermöglicht bei künstlicher Befruchtung Menschen mit Erbkrankheiten, dennoch gesunde Kinder zu bekommen, jedoch auch Eugenik zu betreiben, also wünschenswerte Eigenschaften des werdendenLebens auszuwählen, wie dies zur Zeit des Nationalsozialismus auf andere Weise versucht wurde, nun jedoch auf der Basis ausgefeilter Techniken erneut möglich wird. Würde sich herausstellen, dass es ein Gen für kindliche Umgänglichkeit und Liebenswürdigkeit gibt, fände es reißenden Absatz bei potenziellen Eltern, die sich die nervtötenden Seiten der Erziehung gerne ersparen würden. Gesetze werden dem nur bedingt gegensteuern können; vieles kommt darauf an, ob die verantwortlichen Individuen selbst ein menschenwürdiges Maß zu bewahren verstehen.
    Letztlich stellt sich die Frage nach einer genetischen Gerechtigkeit . Das Lebenskunstrecht unter den Menschenrechten, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, fordert die grundsätzliche Bereitstellung von Möglichkeiten zur Entfaltung des Einzelnen, welche auch immer dann konkret von ihm gewählt werden. Ungerecht erschiene, Möglichkeiten dazu, und sei es durch die Heilung schwerer Krankheiten, mit rigiden Normsetzungen gesellschaftlich zu verweigern, ganz nebenbei auch unwirksam, da viele, deren Leben davon abhinge, sich die nötigen Mittel zu einer gewünschten genetischen Manipulation dennoch irgendwie beschaffen würden. Was aber ist unter genetischer Chancengleichheit, was unter Verteilungsgerechtigkeit zu verstehen, sowohl im Hinblick auf die genetische Ausstattung, die vorgefunden wird und korrigiert werden kann, wie auch im Hinblick auf diejenige, die über alle natürlichen Vorgaben hinaus neu zu schaffen wäre? Die ungleiche Verteilung natürlicher genetischer Güter wie Intelligenz und körperliche Erscheinungsform muss nicht länger hingenommen werden – aber jedes Bemühen um gleiche Verteilung würde wohl neue Ungleichheit produzieren, und die tragende Bedeutung der genetischen Ausstattung würde schließlich erneut von der sozialen abgelöst: Wer kann sich welche Eingriffe leisten? Welches soziale Umfeld ist welchen Maßnahmen förderlich? Für das Selbst stellt sich die Grundfrage genetischer Gerechtigkeit zudem nicht erst anderengegenüber, sondern bereits in Bezug auf sich selbst: Ist es gerecht oder ungerecht, sich selbst Möglichkeiten der Gentechnologie vorzuenthalten? Für welchen Teil des Selbst ist dies gerecht, für welchen

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