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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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ungerecht?
    Maßnahmen zum Schutz vor genetischer Diskriminierung sind zu treffen: Soll es Arbeitgebern und Krankenkassen erlaubt sein, Bewerbern um einen Arbeitsplatz oder um Mitgliedschaft die Vorlage ihres persönlichen Gen-Chips abzuverlangen? Soll der Zugriff auf Informationen über das genetische Krankheitsrisiko dem Abschluss einer Lebensversicherung zwingend vorausgehen? Wer ist eigentlich der rechtmäßige Besitzer genetischer Daten? Und zugleich lässt sich kaum etwas dagegen unternehmen, wenn Bewerber, die sich einen Vorteil davon erhoffen dürfen, ihre Gen-Card oder die Ergebnisse eines Gen-Tests freiwillig zur Verfügung stellen. Nur bedingt tröstlich ist es zu wissen, dass es völlig erbgesunde Menschen gar nicht gibt; dass jeder Mensch mehrere defekte Erbanlagen in sich trägt, die in den meisten Fällen ohne Auswirkungen bleiben; dass auch das letzte Risiko, die bloße Möglichkeit einer Krankheit, sich nicht mit einer Korrektur der Erbanlagen für alle Zukunft beseitigen lässt, da Mutationen stets von neuem geschehen. Der Druck anderer auf das Selbst wächst, im Falle genetisch bedingter, wirklicher oder möglicher Krankheiten etwas zu unternehmen. Jedes Leiden läuft Gefahr, auf genetische Ursachen zurückgeführt und, wenn ein Eingreifen abgelehnt wird, als sinnloses Leiden abgetan zu werden. War mit dem Zufall einer Begegnung zwischen zwei Menschen die genetische Ausstattung des heranwachsenden Kindes einst für immer festgelegt, so wird für den Herangewachsenen der Zugriff auf die eigenen Wurzeln mithilfe von Gentechnologien im Nachhinein noch möglich, um so zu werden, wie er sich gerne gehabt hätte, wäre er im entscheidenden Moment gefragt worden.
    Grundsätzlich macht die Gentechnologie vor keiner Möglichkeit Halt: Kaum eine Phantasie, die nicht gentechnisch realisiertwerden könnte; kaum eine Perversion, eine Verkehrung im Wortsinne, die weiterhin undenkbar wäre. Entscheidend ist angesichts all dieser Aussichten, zumindest in Unruhe zu bleiben über Chancen und Gefahren. Die Verantwortung dafür, was daraus wird, liegt jedenfalls nicht nur in Händen von Wissenschaftlern, Managern und Gesetzgebern, sondern auch in denen vieler Einzelner, die von den Möglichkeiten Gebrauch machen oder nicht, bewusst oder unbewusst. Das Selbst trägt auf diese Weise seinen Teil an Verantwortung für die gesamte Entwicklung und kann sich dem nur um den Preis entziehen, einverstanden zu sein mit allem, was »sich entwickelt«; ersatzweise kann es auf »die Mächte« verweisen, die vermeintlich »alles im Griff haben«, in Wahrheit aber ständig auf das Verhalten der Individuen schielen. Und wenn sich doch die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten? Dann hat sich das Experiment der menschlichen Existenz auf dem Planeten Erde eben nicht bewährt. Kosmisch gesehen dürfte dies ohne Belang sein, lediglich aus irdischer Sicht könnte es bedauerlich erscheinen, wenn das Experiment vorzeitig abgebrochen würde. Um nicht vorweg schon darüber zu verzweifeln, erscheint es an der Zeit, die Seele wieder ins Spiel zu bringen, die in archaischen, prägenetischen Zeiten als Residuum alles Menschlichen galt und womöglich noch nicht ausgedient hat. Aller Umgang mit dem Körper, auch seine Veränderung und Verletzung verweist darauf, dass da »etwas ist«, das ihn beseelt und das zu behaupten und zu bewahren sein könnte; erst in der Wechselwirkung zwischen Genen und einer Seele entsteht vielleicht das Kunstwerk des Lebens. Die Vermutung allein kann schon ein zureichender Grund dafür sein, der seelischen Sorge die gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

Von der seelischen Sorge
Mutmaßungen über die Gestalt der Seele
    Schon die aufmerksame Beziehung zum Körper erschien nicht so sehr als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck, nämlich eine Wohnung für die Seele bereitzustellen. Aber was ist Seele? Offenkundig ein nebulöses Gebilde – jedenfalls konnte sie in endlosen Abfolgen von Klärungsversuchen noch nie definitive Konturen gewinnen, und so lassen sich lediglich Mutmaßungen über sie anstellen. Wesentlich an ihr scheint zu sein, sich allen Festlegungen zu entziehen, auch weit umfassender zu sein als das Selbst im engeren Sinne, das definierte Kern-Selbst und seine Peripherien. Ausgehend von individuellen Erfahrungen und Beschreibungen aller Zeiten ist die Seele vorstellbar als potenziell unendlicher Raum , Raum in zweifacher Hinsicht: imaginärer Raum der Vorstellung , zu besetzen und auszumessen

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