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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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jemals erschöpfen zu können; nicht einmal wünschbar kann dies sein: Das Lebenverlöre eine Inspirationsquelle ersten Ranges, und das Selbst geriete womöglich »aus dem Bereich der Dummheit, der selbst theoretisch noch abwechslungsreich ist, in das Reich der Weisheit, eine öde und im allgemeinen gemiedene Gegend« (Robert Musil, Über die Dummheit , Vortrag von 1937).
    Staunenswert am Menschen (und das heißt im Zweifelsfall: an mir selbst) ist nicht die potenzielle Klugheit oder Weisheit, staunenswert ist die reale Dummheit. Das Selbst sollte sich nicht länger scheuen, ihr zu frönen, ihr zumindest im Diskurs die Aufmerksamkeit zu schenken, die ihr zukommt; keine Angst also vor dem dummen Geschwätz. Schwachgeistiges ist ohnehin erholsamer als Hochgeistiges, das allenfalls wie Hochprozentiges genossen werden sollte: nur aus kleinsten Gläsern. Den tiefen Blick in ein bodenloses Fass aber erlaubt die Enzyklopädie der Dummheit (Matthijs van Boxsel, 1999); sie lehrt das Staunen über dieses Faszinosum der menschlichen Existenz. Dem ungläubig Zweifelnden führt sie die Kreativität, Kontinuität und Beharrlichkeit der Dummheit vor Augen, zweifellos auch ihr Ausmaß, sollten jemals jemandem Zweifel daran in den Sinn gekommen sein. Alles lässt sich in Bezug zur Dummheit setzen – was den Verdacht nahe legt, in ihr könnte der einzige Fixstern im Kosmos der Ungewissheit menschlicher Existenz zu finden sein. Zu ihr fähig zu sein, gegen alle Widerstände immer zu ihr gehalten zu haben, darf als eigentliche Leistung aller Kultur gelten, auch wenn es an Versuchen nie gefehlt hat, sie als kulturfremd zu diffamieren und gar zu eliminieren.
    Die wahre Herausforderung auf dem Weg zur Klugheit besteht in der Befreundung mit der Dummheit , der eigenen wie der von anderen, und in der Anerkennung ihrer Bedeutung für den praktischen Lebensvollzug. Wie unumgänglich dies ist, zeigt sich an der Häufigkeit des Umstands, dass »etwas Dummes dazwischenkommt«, und zwar gerade dann, wenn eine Sache sorgfältig vorbereitet worden ist. »Dumm gelaufen«, ist dann das einzige Fazit, das noch zu ziehen übrig bleibt – in Wahrheit aber stehtder dumme Lauf der Dinge im Dienste des Erreichens selbst der fernsten Ziele, und sei es auf unmöglichen Um- und Abwegen. Aus guten Gründen preist Nietzsche (Nachlassfragment über »Die neue Rangordnung« vom Sommer/Herbst 1884) die »Dionysische Weisheit« als eine, die »die übermütigsten schwersten Wege wählt«: Er sieht darin ein vorsätzliches »Prinzip der größtmöglichsten Dummheit« am Werk. Hinter- statt vordergründig klug und weise wird das Selbst, so lässt sich daraus schließen, nicht auf nahe liegenden und geraden Wegen. Dummheit ist die List der Klugheit, mit der letztlich die ins Auge gefassten Vorstellungen trotz allem realisiert werden, denn neben allen Abgründen tun sich auch interessante Alternativen auf, an die zunächst gar nicht zu denken war.
    Eine vorsätzlich eingesetzte List der Klugheit als umfassender Form von Intelligenz aber bestünde darin, Dummheit vorzuschützen , um all das in Erfahrung zu bringen, was intelligenten Menschen gewöhnlich vorenthalten wird, da sie immer schon »alles wissen« müssen. Erstaunlich ist, wie bereitwillig und häufig der umgekehrte Weg gewählt wird: Intelligenz vorzuschützen , um nicht der Dummheit geziehen zu werden. Angesichts der Unverzichtbarkeit der Dummheit lässt sich das blinde Vertrauen in die Intelligenz nur mit einem gewissen Amüsement betrachten, da es ja verkennt, worauf alle Erkenntnis beruht, in solchem Maße sogar, dass es wünschenswert erscheint, sich der unbewussten Dummheit auch bewusst bedienen zu können. Leider scheint der intelligente Zugriff auf die Dummheit von vornherein zum Scheitern verurteilt zu sein: Keine Intelligenz reicht aus, die eigene Dummheit, den Mangel an Einsicht in die wirklichen Verhältnisse seiner selbst und der Welt zu begreifen, denn wie sind die Verhältnisse »wirklich«? Zu erreichen ist allenfalls ein wenig Klugheit, eine begrenzte Intelligenz, die um ihre eigene Begrenztheit weiß. Zu begreifen ist am ehesten noch die Dummheit der anderen, denen sie aus diesem Grund auch gerne vorgehalten wird, etwa den Straßenarbeitern von Schilda, die alleWegweiser demontieren (oder soll man sagen: »dekonstruieren«?), und die dennoch nicht verlegen sind um eine Antwort auf die Frage, wie sie denn nun selbst noch ihren Weg finden sollen: Kein Problem, schließlich haben sie ja alle

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