Mit sich selbst befreundet sein
auch nicht sich selbst: »Ich gehörte nur Gott.« Um am Ende den einzigen Traum wahr zu machen: den Schwarzen Stein in Mekka zu berühren und den Nachweis zu erbringen, dass ein Mensch zwanzig Jahre lang in einem üblen Loch von Gott, Worten, Bohnen, trockenem Brot und Wasser leben kann, ausgestattet nur mit der Macht des Geistes. Zuletzt gelingt es, rudimentäre Nachrichten über das Straflager in die Außenwelt zu schmuggeln; eine Menschenrechtsaktivistin setzt alle Hebel in Bewegung, Journalisten informieren die Öffentlichkeit anderer Länder, noch eine Macht des Geistes…
Mühelos lässt der Geist Mauern hinter sich. Offenbar gibt es ein Leben des Geistes, das vom Tod nicht tangiert werden kann; ein Fluidum von unabsehbarer Reichweite im Hinblick auf Raum, Zeit und Möglichkeit, an dem Individuen teilhaben und »geistige Weite« erfahren können. Aber woraus besteht »das Geistige«, das solche Macht entfalten kann? Worauf kann sich die Sorge des Selbst richten, um Selbstmächtigkeit im Geistigen zu erreichen? Unfassbar scheint der Geist zu sein, aber eine Möglichkeit, das Phänomen besser zu verstehen, stellt neben philosophischen, soziologischen, psychologischen Herangehensweisen auch seine physiologische Erklärung dar. Solange sie nicht für die einzig mögliche gehalten wird. Ein Wissen darüber kann dembesseren Verständnis seiner selbst dienen, auch, soweit möglich, der besseren Vorsorge gegen mögliche Manipulationen des Selbst. Dem Selbst obliegt die Wahl, sich Wissen über diese Zusammenhänge anzueignen und eigenes Erfahrungswissen in Bezug dazu zu setzen, um Überlegungen zur Plausibilität anzustellen und selbst darüber zu entscheiden, welches Wissen auf welche Weise berücksichtigt werden soll.
Kortex und Amygdala: Die Suche nach dem Sitz der Klugheit
Dass nicht nur mithilfe des Geistes geforscht wird, sondern auch der Geist selbst zum Gegenstand der Forschung wird, geht auf eine lange Tradition der Philosophie und Wissenschaft zurück. Erst mit dem Aufkommen der Neurologie im 19., erst recht mit dem Aufblühen der Neurobiologie im ausgehenden 20. Jahrhundert werden Leistungen des Bewusstseins jedoch immer ausschließlicher mit einem »neuronalen Substrat des Geistes«, das heißt mit den Funktionen von Nervenzellen im Gehirn identifiziert. Nicht alle Forscher lassen sich dabei so viel Vorsicht angelegen sein wie Antonio R. Damasio, der sich von jedem Reduktionismus fern hält und lediglich von »Korrelaten des Geistes« spricht, um zu betonen: »wir dürfen die Korrelate nicht mit dem Geist verwechseln« ( Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins , 1999). Neuronale Grundlage des Geistes ist in dieser Sicht ein grundlegendes Bewusstsein von großer Robustheit, mit einer momentanen, »basalen« Aufmerksamkeit und einem punktuellen Selbstgefühl, das nur ein Hier und Jetzt kennt und von unbewussten Emotionen, nicht von Denken und Sprache abhängig ist. Aus diesem Grundbewusstsein erst geht eine anhaltende, »gerichtete« Aufmerksamkeit hervor, mit einem erweiterten Bewusstsein , das einem Selbst zugehört, das sich, »wach und alert«, kontinuierlich seiner selbst bewusst ist und zwischen einer Vergangenheit und einer Zukunft zeitlich sich ansiedelt, ausgestattet mit einer weit ausgreifenden räumlichen Vorstellungskraft,sowie einem gedanklichen und sprachlichen Vermögen, das sich im Laufe des jeweiligen Lebens als enorm entwicklungsfähig erweist.
Im gesamten Bewusstsein sind neuronale Muster wirksam, die sich ihrerseits auf mentale Muster auswirken, also die Art des Denkens, Fühlens und Verhaltens eines Selbst beeinflussen. Geist aber heißt, dass es bei vorgegebenen neuronalen Mustern nicht bleibt, dass vielmehr das Selbst, das selbst als eine Art von neuronaler Metastruktur erscheint, auch in den Prozess eingreifen kann, um neue und andere Muster auszubilden. Über die gegebenen Schaltkreise hinaus lassen sich individuell und, im Verbund mit anderen, kulturell enorm weitläufige und vielfältige neuronale Strukturen entwickeln. Durch das Herstellen von Zusammenhängen, durch Lesen, Lernen, Bildung und Weiterbildung kann die Vernetzung erheblich gesteigert werden, mit einer bemerkenswerten Konsequenz: Je reicher das neuronale Netz ausgebildet ist, desto umfangreicher sind die »Ausweichmöglichkeiten« bei der Blockade eines Areals. Das ist der Grund dafür, dass mit wachsendem Bildungsstand die Gefahr eines Hirnabbaus abzunehmen scheint. Nicht dass der Grad der
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