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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Zeiten so nicht kannten: Kinderspielplätze, Kinderhorte, Kindergärten. Eine wachsende Zahl moderner Menschen verzichtet, um der Kollision der Welten zu entgehen, überhaupt aufs Kinderkriegen. Andere Lösungen ermöglicht vielleicht die Raumzeitkultur einer anderen Moderne, die neben der linearen auch einer zyklischen Zeitauffassung wieder mehr Raum zu geben versucht. Hilfreich erscheint jedenfalls ein Bewusstsein dieser Problematik, um sie zu kennen und nicht darüber zu verzweifeln.
    Kinder und Jugendliche wachsen in moderner Zeit in eine Freiheit hinein, für die sie selbst Formen zu finden haben. Häufig haben sie selbst eine Wahl zu treffen, auf die sie jedoch nicht vorbereitet sind, auch viele Erwachsene nicht. Es bedürfte einer Heranführung an die Zeit der Wahl, einer Ausbildung und Einübung des entsprechenden Könnens, einer Stärkung der Sensibilität , um wahrnehmen zu können, wann und wo eine konkrete Wahl ansteht und wie dabei vorgegangen werden kann: sich kundig zu machen über mögliche Alternativen, sich zu informieren, abzuwägen, die möglichen Konsequenzen zu bedenken und sie in Gedanken vielleicht durchzuspielen; die nach der Wahl gemachten Erfahrungen wiederum ernst zu nehmen und zu überdenken, Schlüsse daraus zu ziehen, um damit das Gespür auszustatten, das im Laufe der Zeit erlaubt, nicht immer völlig bewusst und doch sehr treffsicher zu wählen. Schließlich aber erschiene es sinnvoll, eine Stärke der kindlichen Lebenskunst ins Erwachsenendasein hinüberzuretten, die sich in vielen Situationen einsetzen ließe, in denen dies angemessen erschiene: die Fähigkeit des Hinnehmens , Lassens und Geschehenlassens. Wenn Lebensgestaltung nicht nur ein aktives Tun, sondern ebenso ein passives Lassen ist, dann sind Kinder natürliche Meister darin; das versetzt sie in die Lage, eine Situation, wie sie nun mal gegeben ist, zu akzeptieren und das Beste aus ihr zu machen – eine vormoderne Eigenschaft, die wieder zu erlernen für moderne Menschen hier und da hilfreich wäre.
    Probleme bringt jedoch der Umstand mit sich, dass Kinder und Jugendliche in moderner Zeit in eine Welt der Jagd nach Glück hineinwachsen, für die das Wohlfühlglück die einzig denkbare Form des Glücks darstellt, meist als angenehmer Dauerzustand vorgestellt, voller Lust, ohne Schmerz, ein immer währender Spaß, eine einzige Abfolge von Events. Nicht dass es darum ginge, irgendjemandem den Spaß rauben zu wollen: Der Genuss von Lüsten ist ein grundlegender Bestandteil von Lebenskunst, so sehr sogar, dass sie damit gänzlich verwechselt werden kann. Das Problem ist nur, dass die moderne Vorgabe einer Maximierungvon Lust kontraproduktiv für die Lust selbst ist, und dass Heranwachsende dies auch erfahren, ohne jedoch zu wissen, wie ihnen geschieht. Ein Können des maßvollen Umgangs mit Lüsten, auch durch gelegentliche Exzesse hindurch, vermittelt die moderne Umgebung nicht. So treten den Heranwachsenden allenfalls unverständliche Einschränkungen entgegen, die sie glauben machen, das richtige Maß sei eine Angelegenheit der Moral, und Moral sei eine Sache für ältere Leute. Das richtige Maß aber ist eine Frage der Lebenskunst, um die Lüste nicht auf einmal aufzuzehren und dann mit ihrer Abwesenheit nicht zurechtzukommen. Dass außer Lüsten auch Schmerzen irgendwelche Bedeutung fürs Leben zukommen kann, und dass bereits dieses Gegensatzpaar auf eine grundlegende Polarität des Lebens verweist, gehört nicht unbedingt zu den Einsichten, die junge Menschen in der Moderne gewinnen können. So bleiben sie allein mit den Herausforderungen, die das Leben in moderner Zeit ihnen bietet.
Warum junge Menschen nach Traumwelten suchen
    Mit dem Leben, mit sich selbst und anderen in der modernen Welt zurechtkommen zu müssen und es doch nicht zu können, und dies nicht nur nicht im Moment, sondern auf lange Sicht; keine Autorität in dieser Zeit zu Hilfe nehmen zu dürfen, da es doch um die Befreiung von allem geht; einer Festigkeit zu bedürfen, sie aber ablehnen zu müssen, wo immer sie sich zeigt; nichts so sehr zu ersehnen wie eine liebevolle Berührung und sie zugleich zu fliehen: Das ist der Zwiespalt junger Menschen in der Moderne, Zeit der Verzweiflung vieler Eltern, die ihre Kinder »nicht mehr erreichen« und sich der Mittel indirekter Annäherung etwa mit einer Geste oft nicht zu bedienen wissen. Ausgerechnet die anbrechende Zeit der Selbstbestimmung wird zu der am meisten fremdbestimmten: bestimmt von kulturellen

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