Mit sich selbst befreundet sein
moderne Zeiten so entscheidend ist, führt die Schule der Lebenskunst durch ein Erlernen von Sensibilität und, damit einhergehend, durch eine Ausbildung des Gespürs heran; sie vermittelt somit Grundlagen der Klugheit, und zwar auf den drei Ebenen, die dafür von Belang sind: Ebene der sinnlichen Sensibilität , um Gegebenheiten und Situationen sensitiv erfassen zu können; diese Sensibilität lässt sich üben im aufmerksamen Umgang mit sich und anderen, mit Kunst und Natur, um intensiv und differenziert auch flüchtige, veränderliche und unscheinbare Einzelheiten wahrzunehmen, auf deren Kenntnis es für eine sensibel zu treffende Wahl ankommt. Ebene der strukturellen Sensibilität , die auf theoretische Kenntnisse und ein Wissen von Strukturen angewiesen ist, um »unterschwellige« Zusammenhänge zu erfassen, Machtstrukturen zum Beispiel, die unterhalb der Schwelle sinnlicher Wahrnehmbarkeit wirksam sind und sichtbare Phänomene erst hervortreiben; und eine strukturelle Sensibilität muss vor allem auf mediale Strukturen antworten und darf sich vom visuellen Eindruck einer »Benutzeroberfläche« nicht täuschen lassen. Ebene schließlich der virtuellen Sensibilität , die den Möglichkeiten neuer Technologien Rechnung trägt, den Sinn für virtuelle Wirklichkeiten verfeinert und ein Gespür für die Bewegung im virtuellen Raum vermittelt; gemeintist aber auch die Aufmerksamkeit auf Möglichkeiten überhaupt, bestehender wie neu zu erfindender, um sich nicht in einer herrschenden Wirklichkeit einzuschließen, sondern den Horizont des Möglichen in den Blick zu bekommen.
2. Sensibilität ist die Voraussetzung dafür, Interesse an Wissen zu gewinnen, und zweifellos ist die Schule der Lebenskunst ein Ort der Aneignung von Wissen . Aber dieses Wissen ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Zweck der Bildung , der Erschließung und Gestaltung von Selbst und Welt. Das so verstandene Wissen formt und stärkt die Persönlichkeit und ihre Fähigkeiten im Umgang mit sich und anderen; es fördert die Kreativität und ermuntert dazu, selbst die Initiative zu ergreifen, zu wählen, zu handeln und für vieles selbst Sorge zu tragen. In der Schule der Lebenskunst sind die »Wissensfächer« dieselben wie ehedem, nun jedoch mit anderen Vorzeichen ausgestattet: Nicht Wissen um des Wissens, sondern um des Lebenwissens willen, um Einblick in Grundstrukturen des Lebens und der Welt, der geschichtlichen Herkunft und gesellschaftlichen Gegenwart zu gewinnen. Wichtig erscheint, die Liebe zum Wissen ebenso zu pflegen wie die mögliche Distanz dazu, die das Selbst nicht zum Spielball des Wissens werden lässt; eine Fähigkeit zur Relativierung des wissenschaftlichen Wissens zu kultivieren, das allzu oft den Eindruck erweckt, die endlich gewonnene letzte Wahrheit zu sein. Das Wissen, selbst im Wissen keine absolute Gewissheit finden zu können, ist Bestandteil des Lebenwissens und führt dazu, mit Ungewissheit leben zu lernen und nicht über trügerische Gewissheiten sich zu definieren. Bildung bedarf des theoretischen Wissens, vor allem jedoch, wo immer dies möglich ist, des praktischen Erfahrungswissens , das zu unterscheiden lehrt, welches Wissen hilfreich ist, welches nicht, und die Brücke vom virtuellen Können des Wissens zum realen Können des Lebens schlägt. Jede Praxis vermittelt Erfahrungswissen, das sich wiederum durch theoretische Reflexion besser verstehen lässt.Wichtig ist darüber hinaus das Metawissen : Wo finde ich welches Wissen, wenn ich es brauche? Wissen veraltet schnell, neues Wissen ist leicht zu beschaffen, entscheidend ist zu wissen, wie und woher; so ist der Kopf frei zu halten und das Denken zu entlasten, das seine vornehmste Funktion nicht darin hat, Datenbank zu sein.
3. Ein gestalterisches Selbst- und Weltverhältnis trägt dazu bei, Selbstmächtigkeit zu erlangen und die Widerstandskräfte gegen Versuche zur Selbstenteignung zu stärken. Das setzt jedoch ein kreatives Können voraus, wie es in der Schule der Lebenskunst durch die Vermittlung der Kunst zu erwerben ist: Mit der Übung des Zeichnens, Malens, Musizierens, Singens, Tanzens, Theaterspielens, auch im Umgang mit Technik im engeren Sinne sind Möglichkeiten der Formgebung zu entdecken und zu erlernen; Gefühle werden lebbar und gestaltbar. Die Ausbildung der Phantasie und die Einübung von künstlerischer Arbeit setzt gestalterische Potenziale frei; sie ermöglicht, eigene Ideen davon zu entwickeln, was sich aus einem Material machen
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