Mit sich selbst befreundet sein
Suche nach Traumwelten erschließt diesen Raum. Daher kommt es darauf an, träumen zu lernen und das Träumen vielleicht noch zu forcieren, wie dies die Bewegung des Surrealismus vorgeführt hat; aber träumen macht auch der gesamte Reichtum der Literatur, der Musik, des Films. Mögliche Übungen zielen auf die Freisetzung eigener Phantasie und Kreativität: Geschichten zu sehen, zu lesen und zu erzählen, Bilder und Traumbilder zu malen, neben surrealistischen auch dadaistische Techniken sich anzueignen, zu denen das bloße »Spintisieren« ohne weiteren Anspruch auf Sinn gehört. Über diese kunstvollen Übungen hinaus stehen allerdings noch künstliche Möglichkeiten in anderem Sinne bereit, und vielleicht gerade dann, wenn ein Mensch nicht auf andere Weise träumen gelernt hat, widmet er sich dem » Stoff , aus dem die Träume sind«: Drogen öffnen den Raum der Möglichkeit weit und erscheinen als Ausweg aus einer allzu engen Wirklichkeit. Dass sie womöglich auch alle Möglichkeiten verschließen, wird lange nicht wahrgenommen. Parallel zum Allmachtsgefühl, über Möglichkeiten zu verfügen, verstärken sie verhängnisvollerweise das Ohnmachtsgefühl fehlender Wirklichkeit und mangelnden Könnens: potenziell alles zu können, real aber nichts, schon gar nichts exzellent ; zutiefst frustrierend, denn die schmerzlich empfundene Diskrepanz verweist zurück auf die Differenz der Ebenen des Könnens, aber das Lebenkönnen hängt davon ab, Übergänge zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit zu finden.
Zuletzt geht die zuweilen verzweifelte Suche nach Traumwelten in moderner Zeit schließlich auf Gründe zurück, die mit den Bedingungen dieser Zeit zu tun haben: Gründe der Moderne . Denn das aus moderner Befreiung hervorgehende, zusammenhanglose, fragmentierte Leben wird als Leben im Nichts erfahren undmacht die Suche nach Traumwelten mit kunstvollen und künstlichen Mitteln zur Suche nach Sinn , zum verzweifelten Versuch, Zusammenhänge im Wortsinne zu »spinnen«, also Netze zu knüpfen, in deren Geflecht sich wieder leben ließe. Die Phantasie spielt alle nur denkbaren Kombinationen durch, die »Sinn machen könnten«, und die Erfahrung, die etwa die elektronische »Vernetzung« vermittelt, nämlich dass alles mit allem in Zusammenhang steht, dürfte ein Grund für die Sinnerfahrung im virtuellen Raum für viele junge Menschen sein. Mag die momentane Sinnerfahrung auch überwältigend sein, so stehen diese Gespinste dennoch in Gefahr, vom leisesten Windhauch der Wirklichkeit weggepustet zu werden. Und so geschieht es auch mit den Traumwelten, die der modernen Suche nach Glück entstammen und sich an der Maximierung von Lust und der Minimierung von Schmerz versuchen, neurobiologisch gesehen eine Frage des Serotonin- und Dopamin-Spiegels. Sämtliche Genussmittel lassen sich hierfür aufbieten: Sex, Süßigkeiten, Koffein, Nikotin, Kokain, Alkohol und das Durchdrücken des Gaspedals. Nicht dass irgendetwas davon in irgendeiner Weise verwerflich wäre, zum Problem kann lediglich die Überzeugung werden, es handle sich dabei um das »wahre Leben«. Obwohl dieses Glück nur punktuell und situativ erfahrbar ist, wird seine Begrenztheit jedoch nie seinem Begriff, immer der unzulänglichen Wirklichkeit angelastet, und wenn die Lüste dieses Glücks sich erschöpfen, ist der Einsatz eben zu steigern, die Dosis zu erhöhen: So wird die Schwelle zur Sucht überschritten und die Maximierung der Lust endet in der Unlust größten Unglücks.
Wichtig wäre die frühzeitige Klärung und Aufklärung solcher Zusammenhänge, um das Leben besser verstehen und bewusster führen zu können; sich auch, wo es erforderlich erscheint, gemeinsam mit anderen um eine Modifikation misslicher Grundstrukturen der Moderne zugunsten einer anderen Moderne zu bemühen. Wenn die Lebenskunst diese Bedeutung hat, stellt sich jedoch die Frage, wo sie denn zu erlernen wäre. Hilfreich aufdem Weg des Lebenlernens könnte die Schule sein, und dies nicht nur für Heranwachsende: In Bildung, Weiterbildung, künstlerischer Bildung und Erwachsenenbildung käme es darauf an, ein Forum für Themen des Lebens zu schaffen und jüngeren wie älteren Menschen zu ermöglichen, Lebenszusammenhänge zu erörtern, eine eigene Lebenshaltung zu finden und Künste des Umgangs mit sich selbst und anderen zu erlernen. Wie könnte eine Schule der Lebenskunst aussehen? Zumindest die folgenden Punkte lassen sich nennen.
Schule der Lebenskunst
1. An die Zeit der Wahl, die für
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