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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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konventionell, religiös bestimmt worden sind, erweist sich nun als hinderlich.
    Mit dem Wohnen in Gewohnheiten wird zugleich ein Ort des Wohnens im engeren Sinne definiert: Bestandteil des Selbstmanagements ist ein Raummanagement , unumgänglich in moderner Zeit, in der jede traditionelle räumliche Bindung aufgelöst wird, das Leben im Irgendwo des Transitraums jedoch nur begrenzt lebbar ist. Die Festlegung des Wo , des Ortes oder der Orte des Selbst ist eine Methode der Selbstgestaltung: Jede Festlegung wirkt prägend auf das Selbst zurück, das vom räumlichen und somit sozialen Umfeld nachhaltig gestaltet wird. Mit dem Leben im jeweiligen Raum, auch im Transitraum, sind unterschiedliche Ausformungen des Selbst verbunden, und das gilt erst recht für den spezifischen Ort, an dem die Wohnung konkret eingerichtet wird. Eine Fundamentalwahl ist zu treffen zwischen der Gestalt des sesshaften Selbst , das am definierten Ort, des nomadischen Selbst , das beim ständigen Unterwegssein, und des Schaukel-Selbst , das beim stetigen Pendeln zwischen verschiedenen Orten entsteht. Mögliche Kriterien für die Wahl sind die berufliche Notwendigkeit oder aber die Faszination, der Folge geleistet wird; auch die Tradition, deren Fortdauer oder Wiederherstellung zum möglichen Gegenstand der Wahl wird. Eine Festlegung des Ortes sorgt dafür, nicht ohne Unterlass wählen zu müssen, wo das Selbst sich nun gerade aufhalten soll. Ist dies eine Rückkehr zur »Normalität«, ein Widerspruch zur Modernität? Aber die Sehnsucht nach Normalität in moderner Zeit ist andersnicht zu stillen. Wenn alles möglich, alles erlaubt, nichts definiert ist, wird es zum seltenen Glück, einen definierten Ort zu definierter Zeit in definiertem Rahmen aufsuchen zu dürfen, um in dessen Vertrautheit und Geborgenheit ein wenig Atem schöpfen zu können. Vorbei die Zeit, in der die »Überschätzung der Frage, wo man sich befinde«, noch der »Hordenzeit« nachgesagt werden konnte, »wo man sich die Futterplätze merken musste« (Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften , 1930-1933).
    Neben dem Raummanagement ist das Zeitmanagement unverzichtbarer Bestandteil des Selbstmanagements. Bereits die Wahl des Ortes gerät zu einer Wahl auch der Zeit, die eine andere ist in dieser oder jener Kultur, in der großen Stadt, in der Kleinstadt oder »auf dem Lande«. Vor allem aber geht es um die Einteilung der Zeit , für die es eine Option ist, »in den Tag hinein zu leben«, womöglich aber die Erfahrung zu machen, dass unerledigte Aufgaben sich stapeln, auch wenn manches sich von selbst erledigt. So kommt es zur ergänzenden Option einer genaueren Einteilung des Tages, der Wochen, des Jahres, um dem ewigen Irgendwann gelegentlich ein Datum zu geben; dabei allerdings kann ein Kalender hilfreich sein: Eine zeitliche Erstreckung in räumlicher Gestalt vor sich zu sehen, erleichtert die Verteilung des Tuns im Hinblick auf ein Ziel, gerade wenn es zeitlich fern liegt. Die chronologische Aufteilung etwa einer Arbeit ermöglicht eine Dosierung von Kraft und eine Gelassenheit des allmählichen Vorgehens Schritt für Schritt. Wenn aber doch einmal zu viel zugleich zu erledigen ist? Dann bleibt nur, rigide auszuwählen und bereitwillig zu verzichten, denn notwendig ist nur eins: zu leben , stoischer Ankerpunkt im Rumor der Anforderungen. Heißt Zeitmanagement nicht, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden? Aber allzu häufig liegt das Wesentliche im Unwesentlichen; Letzterem zeitweilig den Vorzug zu geben verschafft Muße und macht Mut, sich an Ersterem zu versuchen. Im entstehenden Freiraum sortieren Prioritäten sich von selbst und ein methodisches Vorgehen lässt sich gedanklich vorbereiten.Das Zeitmanagement ermöglicht ein Atmen zwischen den verschiedenen Formen des Umgangs mit der Zeit: zwischen Anstrengung und Muße, beschleunigter und verlangsamter Zeit, linearer und zyklischer Zeit, verdichteter und durchlässiger Zeit, bestimmter und unbestimmter Zeit, erfüllter und leerer Zeit. Es macht die goldenen Stunden ausfindig, in denen eine Arbeit wie von selbst von der Hand geht, die zu anderer Zeit nur mühsam und schleppend zu leisten ist. Es macht die purpurnen Stunden möglich, die allein dem Genuss des Lebens gewidmet sind. Und es verhilft dazu, geizig mit den Stunden umzugehen, um sie bei anderer Gelegenheit zu verschenken, und je knapper die Zeit, desto bedeutsamer diese Geste: Zeit zu schenken, auch geschenkt zu bekommen. Zeit zu geben, sich

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