Mit sich selbst befreundet sein
selbst , als Organisation des Selbst und seines Lebens, mit der die Selbstsorge von Grund auf und im alltäglichen Leben realisiert werden kann. Dies betrifft zuallererst die Frage der Konstitutierung des Selbst, wie sie auch für die »Selbstmanagement-Therapie« (Frederick H. Kanfer, Hans Reinecker, Dieter Schmelzer, 1990) zentral ist, die zur Angstbewältigung und in vielen weiteren Lebenssituationen eingesetzt wird, dabei die alltäglichen Verhaltensweisen berücksichtigt, das Einüben von Fertigkeiten unterstützt, auf die Stärken des Selbst achtet, große Pläne in kleine Schritte zerlegt, auf ständig variierende Einflüsse und Hindernisse vorbereitet und dazu ermutigt, über eine »ausschließliche Beschäftigung mit der Vergangenheit« hinauszukommen. Teils in Überschneidung damit lassen sich unter dem Begriff des Selbstmanagements die einzelnen Stationen der Selbstklärung versammeln: Selbstfremdheit, Selbstaufmerksamkeit, Selbstgespräch, Selbstkenntnis, Selbstgestaltung, Selbstbefreundung, Sorge um den Spielraum der Freiheit und Orientierung seiner selbst an Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit. Ferner alle Einzelheiten der Einrichtung des Lebens in Raum und Zeit, des »Wohnens« in jeglicher Hinsicht, der Bewältigung des Alltags und der Ausbalancierung des Lebens zwischen materieller, körperlicher, seelischer, geistiger Sorge.
Aber wird mit solchem Selbstmanagement nicht das »wahre Leben« abgetötet? Sollte wahres Leben nicht heißen, »wild und gefährlich zu leben«? Damit ist es allerdings nicht weit her, wenn die Bewältigung des Alltags und Einrichtung des Lebens unterschätzt wird, über die noch jede großartige Revolution menschlichen Lebens großzügig hinweggegangen ist: Die Gewohnheiten, die sich im Fortgang des Lebens und Zusammenlebens unvermeidlich von selbst einstellen, stehen der Wildheit entgegen. Die Lüste, die mit der Wildheit am meisten assoziiert werden,halten nicht vor, und so lässt sich ein Leben des Lustprinzips nicht nachhaltig genug realisieren. Nichts erscheint daher so fragwürdig wie der Gestus des Wilden und Gefährlichen. Wirkungsvoller dürfte sein, den gewöhnlichen Rahmen des Lebens zugrunde zu legen, der das Ungewöhnliche zu leben erlaubt; mit besonderem Augenmerk auf die Banalitäten und Trivialitäten, in denen das reale Menschsein zum Ausdruck kommt. Menschliches Leben scheint sich wesentlich im Banalen abzuspielen, anders ausgedrückt: Seine Substanz liegt in der Akzidenz. Wer dies ignoriert, läuft Gefahr, im Lebensvollzug darin zu versinken. Besser erscheint es, der Einrichtung des Lebens Rechnung zu tragen, »und im Kleinsten und Alltäglichsten zuerst«, wie Nietzsche fordert ( Fröhliche Wissenschaft , 299). So ist der äußere Rahmen zu gewährleisten, der das Selbst auch dann noch zu halten vermag, wenn der Wellengang des Lebens stürmisch wird. Mit der Frage nach den Zusammenhängen, die für die Einrichtung des Lebens und Zusammenlebens von Grund auf von Bedeutung sind, gewinnt das Selbstmanagement schließlich eine philosophische Dimension.
Die philosophische Methode, diesen Zusammenhängen nachzugehen, besteht darin, sie einfach als abwesend zu behandeln, sei es im Denken oder im experimentellen Lebensvollzug, um sich »auszumalen« oder konkret zu erfahren, worin ihre Bedeutsamkeit besteht, denn in der Entbehrung zeigt sich Bedeutung. So erwies sich schon der Sinn von Gewohnheiten , und das Selbst kann nun dazu übergehen, sie einzurichten, den Pflock einer Gewohnheit in den Boden zu schlagen, an dem es sein Leben anbinden kann und um den herum das Leben sich selbst organisiert; eine wertvolle Hilfe vor allem in schwieriger Zeit. Gewohnheit und Ritual erweisen sich als unentbehrlich bei der Einrichtung des Lebens, um es nicht unentwegt neu reflektieren zu müssen, und dies gerade dann, wenn das Denken wie betäubt ist, überfordert damit, das Leben zu orientieren, das dennoch zu leben ist. Fühle ich mich verlassen von aller Welt, ist das Lebensinnlos, die Welt ein Nichts? Das zu beurteilen ist jetzt nicht die rechte Zeit, besser wäre, die Zeit zu überbrücken, bis das Leben sich wieder zu finden vermag und die Situation sich in Ruhe überdenken lässt. Das leisten Gewohnheiten und Rituale, vorausgesetzt, es steht ein Wissen von ihrer Bedeutung, von ihrer Einrichtung und Pflege bereit. Dass ein Wissen von der autonomen Ritualisierung des Lebens nie vermittelt worden ist, dass Rituale lange und in hohem Maße heteronom , traditionell,
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