Mit sich selbst befreundet sein
zufrieden stellend zu beantworten. Dies lässt sich zu der pessimistischen These zuspitzen: Gerechtigkeit ist unmöglich. Und doch ändert sich damit nichts an der zentralen Aufgabe, Kohärenzinnerhalb des Selbst wie in der äußeren Gesellschaft, in Familien, Gruppen, Schulen, Betrieben und ganzen Ländern mithilfe von Gerechtigkeit herzustellen, um zwischen Aspekten und Affekten des Einzelnen, zwischen Individuen und ganzen Gruppierungen die Verhältnisse auszubalancieren. Daher die pragmatische These: Gerechtigkeit ist unverzichtbar. Nur gänzlich befriedigende Resultate wird sie kaum je erbringen, und dies nicht nur wegen der notorischen Unvollkommenheit menschlicher Verhältnisse, sondern aufgrund unaufhebbarer Widersprüche: Anstrengungen zur Gleichstellung aller unterminieren die Freiheit des Einzelnen. Und die glücklich erreichte Gerechtigkeit in der Perspektive des einen tendiert zur Ungerechtigkeit in den Augen von anderen. Daher die skeptische These: Gerechtigkeit erzeugt Ungerechtigkeit. Es ist die Aufgabe des inneren Moderators, die Gesamtheit des Selbst durch die dreifache Problematik hindurchzulavieren. Nur so kann Gerechtigkeit, wenn überhaupt, auf den Weg kommen, und das Selbst vermag sich den profaneren Fragen der Lebensbewältigung zu widmen.
Selbstmanagement in der Servicegesellschaft
An irgendeinem Tag, einem Sonntag vielleicht, um die Folgen in Grenzen zu halten, lässt dieses Experiment sich anstellen: Einen Tag ganz ohne Gewohnheiten zu verbringen, denn Gewohnheiten sind lästig, sie halten Menschen vom wahren Leben ab, man muss sie hinterfragen und am besten ganz abschaffen. Gewohnheiten sind von gestern, das ist ihre Natur; sie sind starr, während für den modernen Menschen nur Flexibilität und Zukunft zählen. Endlich einmal »absolut modern sein«; schon vom Moment des Aufwachens an soll über alles neu entschieden werden. Nun aber kommt das Selbst nicht mehr aus dem Bett, denn ohne die gewohnte Prozedur ist erst neu zu überlegen: Aufstehen oder nicht, warum, wofür, mit welchem Fuß, mit welchem Risiko, und wann? Das raubt bereits den halben Morgen, und als es endlichüberstanden ist, drängt bereits die nächste Frage: Was soll zubereitet werden, Kaffee oder Tee? Denn das Gewohnte ist ausgeschlossen. Kaum hat das Selbst auch diese Qual der Wahl hinter sich gebracht, kann es sich nicht für eine bestimmte Tasse entscheiden, denn es besitzt viele, und die eine, die deutliche Spuren ständigen Gebrauchs trägt, kommt nicht in Frage. Schließlich muss es kapitulieren. Die Gewohnheiten, so hat sich erwiesen, entlasten von der Wahl , die ansonsten pausenlos zu treffen ist. Zu Recht ist die moderne Zeit stolz darauf, eine Fülle von Wahlmöglichkeiten geschaffen zu haben; aber pausenlos zu wählen, stellt sich als zu anstrengend heraus. Nur dadurch, dass ein großer Teil des Lebens wie von selbst abläuft, lassen sich Kräfte auf den »Rest« konzentrieren. Nur Gewohnheiten sorgen für zeitweilige Erholung, ja mehr noch: Sie ermöglichen ein Wohnen , das als eigentliches Wohnen gelten muss, denn zu Hause ist das Selbst dort, wo das Leben vertraut ist und wo es sich geborgen fühlt; dafür aber sorgen Gewohnheiten. Vielleicht werden sie zuweilen übermächtig, daher sind sie – gewohnheitshalber – auch zu überdenken und aufzubrechen, soll das Leben nicht gänzlich in ihnen erstarren. Selbst eine Veränderung des Lebens kann jedoch nur gelingen, wenn sie wiederum in Gewohnheiten niedergelegt wird. So erscheint es angebracht, den Gewohnheiten dankbar zu sein, denn das Selbst verdankt ihnen das Leben. Sie zu pflegen, ohne jedes schlechte Gewissen, ist Teil des Selbstmanagements.
»Selbstmanagement«? Das Wort kann als störend empfunden werden: In einer Zeit, in der allerorten ein »Management« den Ton angibt, muss selbstredend auch das Selbst noch damit ausgestattet sein. Nicht zu leugnen ist die Gefahr einer Vernutzung des Selbst, mit »Zielformulierung« und »Leistungsbilanz«, »effektiv und effizient«, wie dies in Handbüchern des Selbstmanagements für die berufliche Karriere nachzulesen ist. Es droht die Illusion völliger Kontrolle, die weder in der Ökonomie noch im Lebensvollzug jemals zu erreichen ist. Das Selbst als eine Art von Wirtschaftsunternehmen zu betrachten, befördert allenfalls dieErfahrung von Sinnlosigkeit, die doch mit »Selbstmanagement« behoben werden soll. Dennoch kann etwas Sinnvolles darunter verstanden werden: Selbstmanagement als Regierung seiner
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