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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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indem er dem Selbst körperliche Bewegung abverlangt: sich auf den Weg zu begeben, nur noch zu gehen und immer weiter zu gehen, ohne bestimmtes Ziel. Die unerträgliche innere Spannung wird in äußere Muskelarbeit umgesetzt und lässt sich so fürs Erste bewältigen. Der Körper fängt auf, womit Seele und Geist nicht zurechtkommen. Er gibt dem Leben den elementaren Rhythmus zurück und vermittelt das Vertrauen darauf, dass »es weitergeht«. Von den Möglichkeiten des Umgangs mit sich sind die körperlichen die fassbarsten.
    Aber was ist der Körper? Zunächst nichts als ein Wort, griechisch sōma , Gefäß, Gehäuse, oder phýsis , Gewachsenes, Organisches. Bezogen auf den Menschen ist Körper ein Phänomen, das dem gegebenen Ich zugehört und vom vorgestellten Ich vorgefunden wird. Wahrscheinlich existiert das Phänomen unabhängig von der Vorstellung, aber nur in Vorstellungen weiß das Selbst davon. Es mag sich um das konkreteste Sein handeln, aber entscheidend ist dessen Widerschein in der Wahrnehmung des Körpers : ob er, wie er und was an ihm wahrgenommen wird durch die jeweilige Kultur, individuell durch das jeweilige Selbst, explizit oder implizit, bewusst oder unbewusst. So selbstverständlich es für viele Kulturen ist, dass Menschen körperlich sind und dass dies im alltäglichen Umgang mit sich und anderen spürbarsein darf, so deutlich ist diese Selbstverständlichkeit sehr früh schon der abendländischen Kultur abhanden gekommen. In der antiken Philosophie, sodann in der christlichen Theologie wurde der Körper nicht nur als Gefäß, sondern auch als Gefängnis des Menschen bewertet. Betonte Platon einerseits die Sorge um den Körper und seine notwendige Pflege, da er ja das Gehäuse der Seele sei, so stellte er dem Körper andererseits die Seele, psychē , immateriell und unsterblich, als das Eigentliche des Menschseins gegenüber. Der Bedeutung des Körpers trug das frühe Christentum noch Rechnung, etwa Paulus im Brief an die Römer (12, 1), der dazu ermahnt, den Körper ( sōma ) zum »Gottesdienst« ( latreía ) zu machen, also nicht nur verderbliches Fleisch ( sarx ) in ihm zu sehen; und Clemens von Alexandrien will im 2. Jahrhundert n. Chr. in seinem Paidagogos den Körper in platonischer Tradition als Wohnung der Seele gepflegt wissen. Aber diese Sichtweise wurde, jedenfalls für die westlichen und nördlichen Varianten des Christentums, nicht bestimmend. So begannen Psyche und Soma eine Parallelexistenz zu führen, ohne sich noch zu berühren. Dieser Dualismus überdauerte die Zeiten bis ins 20. Jahrhundert, in dem eine zögerliche Psychosomatik den Wechselwirkungen von Psyche und Soma gerecht zu werden versuchte.
    Vor diesem Hintergrund lässt sich besser verstehen, dass alles Körperliche noch immer eine offene Wunde ist. In moderner und andersmoderner Zeit wird die Wahrnehmung des Körpers zu einer Angelegenheit der bewussten Lebensführung des Einzelnen, der sich um ein Körperbewusstsein bemüht. Wenn der Körper in der Lage ist, die Lebensgrundlage des gesamten Selbst zu zerstören, wenn umgekehrt gerade ihm die Rettung des Selbst im kritischen Moment zu verdanken ist, dann kommt alles darauf an, ihm die erforderliche Aufmerksamkeit zu widmen und Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Frage, ob es Rechte des Körpers gibt, lässt sich einfach beantworten, indem sie ihm vom Selbst für sich selbst zugesprochen werden: Recht auf Aufmerksamkeit, Recht auf Pflege, Recht auf das Bemühen um eineexzellente Verfassung, Recht jedoch auch auf Schonung, die einer Ausbeutung des Körpers Grenzen zieht. Ihm gerecht zu werden bedeutet, ihn ganz so wie die äußere Natur nicht einfach nur als Objekt zu betrachten, sondern als Organismus zu respektieren, als Wesen eigenen Rechts, das Eigenmächtigkeit zu behaupten weiß und zugleich für das Selbst ein unverzichtbares Medium der Erfahrung von Leben ist. Der Cartesianismus, der in ihm nur eine »ausgebreitete Sache« sah, einen bloßen Gegenstand für die »denkende Sache«, lässt sich auf diese Weise relativieren.
    Die Beziehung zum Körper ist der Grundstock für die Beziehungen zum Körper der Welt. Dass der Körper in moderner Zeit jedoch als etwas wahrgenommen wird, zu dem eine »Beziehung« einzugehen ist, folgt aus der christlichen und cartesianischen Befreiung von der Bindung an ihn: Seither »hat« das Selbst einen Körper. Diese Befreiung hat den Körper zum Gegenstand der Willkür des Selbst gemacht und im Verlauf der fortgeschrittenen

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