Mit sich selbst befreundet sein
wirkungsvolle Technik der Sorge um sich selbst. Das nämlich bedeutet, in die Sauna zu gehen: Alle Aufmerksamkeit nur dem Körper zu widmen und zu erfahren, wie selig er darauf reagiert, das heißt, wie sehr das, was »Seele« genannt wird, dabei angeregt wird. Auch die Gedanken beginnen zu fliegen, sodass schließlich, was alsKörperpflege gedacht war, zur integralen noopsychosomatischen Leiberfahrung wird. Selbst die Metaphysik kommt nicht zu kurz: Der Aufguss ist ein quasi-religiöser Akt, inszeniert vom Saunameister; rituell wird Wasser auf heißen Steinen verdampft, und der frei werdende Dampf und Duft, wenn schon nicht Weihrauch, wird den Gläubigen zugefächelt. Das Selbst lernt fürs Leben in diesem Moment, nämlich dass ein Problem, hier die übergroße Hitze, bis in die Zehenspitzen hineingeatmet werden kann, um von der Gesamtheit des Selbst bewältigt zu werden. Am Ende, als man schon zu fliehen gedenkt, kniet der Saunameister vor der Tür, bevor er ein letztes Mal schwungvoll mit dem über seinem Kopf kreisenden Handtuch heiße Luft in die nach Erlösung japsenden, schweißtriefenden Gesichter schleudert. Er kniet , denn es handelt sich um eine wahre Anbetung des Körpers; vielleicht ist auch einfach nur die Luft da unten kühler.
Unvergleichlich das Gefühl, wenn die Hitze den Körper von außen nach innen durchdringt und das Innerste des Selbst durch die Haut nach außen tropft, dann in Bächen rinnt: Dann mit einem kalten Wasserguss die Haut plötzlich wieder spürbar zur Grenze zu machen, sie abzureiben und in Wind und Wetter spazieren zu tragen – wenige Genüsse sind vergleichbar mit diesem. Sauna, das sind diese heißen, kalten Schauer, diese brüsken Wechsel, die den Körper erbeben lassen, und die Wohligkeit, die ihn sodann durchzieht – eine mächtige und nachhaltige Körpererfahrung. Es geht darum, den Körper aufzuheizen, bis er in Flammen steht, ihn im Wasser zu löschen und sogleich eisgekühlt wieder auftauchen zu lassen; im Gluthauch der Sahara zu sitzen und gleich darauf im Wostoksee der Antarktis unterzutauchen; den Körper untergehen zu lassen in der Überschwemmung – und seine Wiederauferstehung zu feiern. Schauplatz einer Übung in Selbstmächtigkeit ist die Selbstüberwindung im Kaltwasserbecken, wenn der Körper die eisige Kälte fliehen will, von der klugen Überlegung jedoch überredet wird, die momentan unangenehme Erfahrung zugunsten einer zu erwartenden angenehmen,die aus dem Kontrast erst resultiert, in Kauf zu nehmen. Der Wechsel zwischen Warm- und Kaltreizen »trainiert« die Elastizität der Blutgefäße, die sich rhythmisch weiten und verengen. Die körperliche Katharsis reinigt, ganz wie bei der Liebesleidenschaft, auch die Seele, bis das Selbst schließlich erschöpft und doch nach süßem Schlaf wie neu geboren ins Leben zurückkehrt. Parallelen zum Spiel der Liebesleidenschaft sind unübersehbar, nur dass das Körperspiel beim Saunieren rapider, extremer ist und ohne Inanspruchnahme anderer auskommt; ausschließlich der Liebe zu sich selbst wird hier gefrönt, bis der Körper völlig aufgeweicht und gerade dadurch abgehärtet ist, sodass das Selbst nackt durch den Regen gehen kann. Das Spiel mit extremen körperlichen Erfahrungen führt dazu, aufs Neue die Balance zu finden, körperlich, seelisch – und geistig, denn die Meditation auf der Saunabank und der Ruheliege in aller Muße weitet von selbst den Blick und wird zur Einübung in die Haltung der Heiterkeit, wenn Heiterkeit ein symmetrisches Leben ist, ein Ausbalancieren gegensätzlicher und widersprüchlicher Erfahrungen.
Letztlich führt die umfassende Berührung, die das Saunieren ist, zu einer Modellierung der Haut im wirklichen und metaphorischen Sinne: Das beim Schwitzen produzierte Eiweiß Dermicidin vermag die Haut, diese Membran des gesamten Selbst, vor Infektionen zu schützen. Hergestellt wird ein Säureschutzmantel, der Krankheitserreger und Schadstoffe fern hält, wohingegen allzu häufiges Waschen diesen Schutz schwächt oder gänzlich zerstört. Eine »Schutzhaut« entsteht, eine Neujustierung der Schwelle zwischen Selbst und Welt im physischen und psychischen Sinne, denn über die körperliche Widerstandskraft hinaus wird auch die seelische gestärkt: Nicht mehr jeder beliebige Einfluss von außen kann das Selbst nun noch antasten, nicht alles sein Inneres tangieren oder gar auf sein Innerstes durchschlagen. Mit der neu oder erneut gewonnenen Selbstmächtigkeit reguliert das Selbst auf
Weitere Kostenlose Bücher