Mit sich selbst befreundet sein
Wollust, die auf sich selbst gerichtet ist«. Dabei ist klar, dass die Onanie der extreme, aber heilsame Widerspruch gegen das Ich der Kognition ist, angesichts des »reinen Denkens« eine Verunreinigung, die das Ich des Körpers wieder geltend macht. Zweihundert Jahre nach Kant erfährt diese Form der Lust daher aus gutem Grund ihre Rehabilitation (Ludger Lütkehaus, »O Wollust, o Hölle«, 1992) als Möglichkeit des Selbst, mithilfe von Selbstberührung in intime Beziehung zu sich zu treten. Wird die Berührung als Ausdruck von Bejahung aber in keiner Weise mehr erfahren, schon gar nicht von sich selbst, so wird sie womöglich gewaltsam herzustellen versucht, auch durch Gewalt des Selbst gegen sich: andere Seite des Satyrspiels.
Die Erotik im Umgang mit sich umfasst über jede Unmittelbarkeit hinaus auch die mittelbare Sinnlichkeit, angeregt etwa durch Stoffe und Kleidung, für das eigene Auge, den eigenen Tastsinn, das Selbstgefühl. Im zweiten Akt des alltäglichen Körpertheaters wird daher das Drama, sich anzuziehen, durchgespielt: Berührung des Körpers mit anderen Mitteln . Ein Ausdruck des Schönen und Bejahenswerten und eine Darstellung für sich wie für andere kann der Grund für die Wahl der Kleidung sein. Vor allem aber ist, sich zu kleiden, eine Arbeit an sich selbst auf dem Umweg über die Äußerlichkeit: Kleidung, ihre Form, ihre Farbe, stellt in ihrer Dinglichkeit eine Objektivität dar, die auf die Subjektivität, das subjektive Befinden und das ganze Selbstseinzurückwirkt – Kleider machen Selbste. Wenn das Selbst »sich nicht wohl fühlt in seiner Haut«, ist über den Körper hinaus oft die zweite Haut der Kleidung gemeint, die ihm an sich selbst nicht gefällt, zu sehr Objekt bleibt und nicht mit ihm als Subjekt verschmilzt. »Mode« ist der Versuch, Objektivität in immer neuen Variationen für die Gestaltung der Subjektivität zur Verfügung zu stellen; sie entwirft einen Modus des Seins , eine Art und Weise des Lebens, die in äußeren Formen die Möglichkeiten des Selbstseins formuliert und modifiziert. Leben ist nie nur ein nacktes Dass, sondern immer auch das Was und Wie des Anziehens und Auslebens. Jede Verhüllung des Körpers ist eine Enthüllung des Selbst und umgekehrt, ein stetes theatralisches Spiel mit dem eigenen Blick und den Blicken anderer. Die vorgefertigte Mode ist dabei nur eine Option; eine andere Option sieht vor, die Mode selbst zu verfertigen, die Bekleidung und Verkleidung des Körpers als Element der Selbstmächtigkeit zu behaupten. – Das satyrische Zwischenspiel ist hier einer Überzeichnung der Kleidung nach beiden Seiten hin gewidmet: einer Reduktion bis hin zum zerrissenen Mantel des Kynikers, der den Körper nur notdürftig umhüllt; einer Exaltation der Kleidung bis hin zu den Phantasiegebilden der Modemacher an den Puppenkörpern von Models.
Im dritten Akt des Körpertheaters wird schließlich die Veränderung am Körper vorgenommen, die dazu dient, ihn zu schmücken und mit Accessoires auszustatten, wiederum für das Auge, aber auch für die Nase, insofern das Selbst sich auch mit Wohlgerüchen zu schmücken vermag. Am Körper selbst wird der Schmuck angebracht, der kurzfristige Modifikationen erlaubt: die Lippen zu schminken, die Augenlider, Wimpern, Brauen und Fingernägel zu bemalen – all die umfangreichen Künste der Kosmetik können dem Recht des Körpers auf Zuwendung Genüge tun. Eine beliebte Form der Veränderung am Körper ist die Gestaltung der Haare, deren stets variierte Form und Farbe freilich zuweilen zu rasch mit einer inneren Veränderung desSelbst gleichgesetzt wird, die so mühelos nicht zu haben ist. Gleichwohl nimmt mit der Zeit alle Gestaltung des Inneren ihren Weg über die Gestaltung des Äußeren: Darin besteht der tiefere Sinn der scheinbaren Oberflächlichkeit von Schmuck und Kleidung. Nur in der Äußerlichkeit ist das Selbst für sich fassbar – wenn es denn fassbar sein soll und nicht unfassbar bleiben will für sich selbst wie für andere. Auffällig sind geschlechtliche Unterschiede: Frauen scheinen den mittelbaren Formen der Selbstberührung ungehemmter zu frönen als Männer, sich mit zyklischer Regelmäßigkeit auch die Berührung anderer zu besorgen, die wohltuend auf sie selbst zurückwirkt. Daher der häufige Gang zum Friseur, eine stets verfügbare Methode der Selbsttherapie; Männern bleibt allenfalls die Selbstberührung durch den Rasierapparat. – Das satyrische Zwischenspiel sieht jetzt vor, den Körper
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