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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Theater der Welt!
Schön sein, sich schmücken: Sinnlichkeit des Selbst
    Nichts anderes als die Aufführung eines Theaterstücks ist die alltägliche Teilhabe des Selbst an der Welt. Der Körper spielt dabei eine maßgebliche Rolle, jedoch nicht etwa erst im sozialen Leben, sondern bereits im Leben des Selbst mit sich selbst. Gegeben wird das eigentümliche Stück Auftritt des Körpers auf der Bühne des Bewusstseins. Das körperliche Selbst erscheint dabei keineswegs nur als Schauspieler auf der Bühne, sondern schreibt selbst an seiner Rolle mit, vor allem per Improvisation. Das denkende Selbst wiederum tritt einerseits als Autor des Auftritts in Erscheinung, andererseits jedoch als Zuschauer, hin- und hergerissen zwischen Langeweile, Begeisterung, Entsetzen und Belustigung. Zum Prolog wird der morgendliche Blick in den Spiegel, bei dem es sich fragt, wem dieser Körper wohl gehört, und ob er schön ist, und wenn nicht, wie er zu verschönern wäre – nicht um anderen, sondern in erster Linie sich selbst zu gefallen. Was ist ein schöner Körper? Einer, der bejahenswert erscheint. Jegliche Arbeit am Schönsein zielt darauf, denjenigen äußeren Zustand zu realisieren, den das Selbst für sich als bejahenswert erkennt, der jedoch nicht abzulösen ist von seiner inneren Haltung. Die bange Frage: »Bin ich schön?« ist nicht in jedem Fall einer übergroßen Eitelkeit geschuldet, sondern hat Bedeutung für die Beziehung des Selbst zu sich; würde sie nicht gestellt, könnte eine allzu große Gleichgültigkeit gegen sich der Grund dafür sein. Sie allzu unreflektiert zu beantworten, brächte wiederum die Gefahr mit sich, lediglich vorgegebenen Normen des Schönen zu folgen, die als »Normalität« verkleidet daherkommen.Schön aber ist nicht der Körper, der allgemeinen Normen und Maßen entspricht, sondern derjenige, der dem Selbst bejahenswert erscheint, mit all seinen Stärken und Schwächen, seiner Ebenmäßigkeit und Hässlichkeit, seiner unverwechselbaren Besonderheit, an der die Zuneigung haften bleibt, die an einer Austauschbarkeit nur abgleitet.
    Das Schönsein kommt in der Sinnlichkeit des Selbst zum Vorschein. Im ersten Akt des Körpertheaters tritt daher der Körper in seiner sinnlichen, nackten Existenz auf, um sich selbst sehen, hören, riechen, schmecken, vor allem aber mit eigenen Händen betasten zu können. Die Selbstberührung, die Berührung des Körpers durch sich selbst ist ein Ausdruck seiner Bejahung, eine Äußerungsform der Selbstfreundschaft und Selbstliebe, die nicht allzu sparsam ausfallen sollte, denn der Körper hungert nach ihr. Die Fülle der Sinne, insbesondere aber die Berührung steht dafür, ein erotisches Verhältnis zu sich und dem eigenen Körper zu gewinnen, ein Verhältnis der Aufmerksamkeit, Interessiertheit, Zuwendung und Zuneigung. Auch körperliche Lust kann das Selbst sich mit der Berührung seiner selbst besorgen; ganz unspektakulär ist sie bereits damit zu erreichen, sich morgens alle Zeit der Welt zu nehmen, um den Körper zu pflegen, ihm und damit der Seele wohl zu tun; ein Sich-Erfahren durch das Betasten seiner selbst schon beim Waschen. Auffällig ist, wie häufig das Selbst sodann den ganzen Tag über die Selbstberührung sucht, meist mit einer unscheinbaren Bewegung der Hand, die über das Gesicht streicht; zuweilen wird der Kopf in die Hände gelegt, um mit der Berührung das Denken zu stützen; Selbstberührung auch, wenn etwas schmerzt, durch die aufgelegte eigene Hand, die den Schmerz zu lindern oder gar zu heilen vermag.
    Ein satyrhaftes Zwischenspiel im Anschluss an den ersten Akt handelt von der verschwiegenen Seite der Selbstberührung: Es muss ja nicht auf offener Bühne sein, jedenfalls nicht öffentlich, wie einst bei Diogenes, von dem es im Buch Leben und Meinungen berühmter Philosophen von Diogenes Laertios heißt, er habe aufdem Marktplatz von Athen onaniert und zugleich bedauert, dass er den Hunger im Magen nicht ebenso leicht loswerden könne, indem er sich den Bauch reibe. In der Geschichte der Philosophie hatte dieses schamlose Verhältnis zur sexuellen Selbstberührung keinen Bestand: Immanuel Kant sah darin im ausgehenden 18. Jahrhundert, ganz Kind seiner Zeit, eine abscheuliche Naturwidrigkeit. In seiner Vorlesung Über Pädagogik , eigentlich eine Anleitung, »freimütig zu sein« und »sich selbst zu führen«, verwarf er den erotischen Aspekt der Selbstführung gänzlich: Nichts schwäche Geist und Körper mehr als »die Art der

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