Mit sich selbst befreundet sein
wählerische Weise die Schwelle dessen, was von außen nach innen, und umgekehrt: was von innen, aus ihm heraus, nachaußen dringen kann.
Parallel zum Saunieren, oder unabhängig davon, lässt sich beim Schwimmen die Wohltat des Wassers für das gesamte Selbst erfahren. Auch auf diese Weise wird der Ganzkörpersinn, der die Haut ist, berührt, und mit ihm die Seele. Das Wasser macht leicht, was schwer ist, der Körper fühlt die Leichtigkeit des Seins, und die Seele folgt ihm bereitwillig. Da der Körper zum großen Teil selbst aus Wasser besteht, liegt nichts näher, als sich mit diesem Element zu befreunden, wenn es darum geht, sich mit sich selbst zu befreunden. Der Körper kehrt ins Wasser zurück, aus dem er, der Körper jedes Einzelnen wie des Menschen überhaupt, einst gekommen ist, und er beginnt wieder im Wasser zu leben . Eine trancehafte Erfahrung schwerelosen Schwebens ist damit verbunden. Um dem Element gerecht zu werden, werden die Bewegungen von selbst langsamer, eine schonende Bewegungsart für den gesamten Körper. Bei jeder Bewegung wird die Haut massiert, der Wasserdruck lastet sanft auf den Venen und treibt das Blut zum Herzen, das sich weitet, um die größere Blutmenge zu bewältigen; die Herzfrequenz verlangsamt sich, der gesamte Organismus beruhigt sich, und die aufgewühlte Seele findet in der Erfahrung des Körpers, der sich gelassen im Wasser bewegt, unwillkürlich Trost. Das Selbst fühlt sich in dieser überströmenden Fülle zu Hause, nimmt sie in sich auf, scheidet sie auch wieder aus, und dies in stetem Wechsel, Rhythmus des Lebens.
Um die Wertschätzung des Wassers zu steigern, käme es darauf an, sich des Privilegs bewusst zu sein, das es bedeutet, im Überfluss des Wassers leben zu dürfen, während sein Mangel in vielen Regionen der Welt »blaues Gold« aus Wasser gemacht hat. Es ist der Überfluss, der die Wohltat des Wassers in einem einzigen Akt alltäglich zu genießen erlaubt. Voraussetzung dafür ist nur, die langwierige Prozedur des Aufstehens am Morgen durchzustehen, den Oberkörper zu erheben, sich aufzusetzen, den Fuß aus dem Bett zu setzen und sich ins Bad zu schleppen. Zur vertikalenBettdecke wird der Duschvorhang, der den nächtlichen Rückzug von der Welt noch ein wenig verlängert, indem er den winzigen Raum herstellt, der die Intimität des Ich mit sich garantiert: kein Raum einer anstrengenden Reflexion der Welt oder Selbstreflexion, vielmehr ein Raum reiner Sinnlichkeit, des Daseins nur für sich, der zärtlichen Pflege seiner selbst ohne Reue. Das ist der ersehnte Moment, der das Selbst wenigstens für heute mit der Welt noch versöhnen kann: Welch eine Wohltat, wenn aus dem Duschkopf das Wasser sprüht und über den Körper herabzurinnen beginnt. Es strömt und gurgelt und blubbert wie einst vielleicht im Mutterleib, und ich fühle mich ganz umhüllt vom warmen, fließenden Nass. Was ist ein schönes Leben? Das Leben in dieser warmen Wasserwelt – würde es doch ewig währen! Ich helfe nach, zögere das drohende Ende hinaus: hier noch etwas waschen, dort noch etwas nachspülen, und noch ein warmer Guss von oben.
Aber irgendwann ist es so weit, es lässt sich nicht verhindern: Ich bewege den Hebel zurück, das Wasser versiegt, einen Moment noch spüre ich den Tropfen und Tröpfchen nach, die über die Haut perlen. Dann löst sich der letzte Tropfen aus dem Duschkopf und rinnt eiskalt und quälend langsam den Rücken hinunter. Jetzt der schreckliche Augenblick: Ich öffne, ich kann nicht anders, den Vorhang wieder, und die ganze kalte Wirklichkeit des Tages dräut mit einem Mal herein, lässt mich erzittern und erbeben. Zwar kann ich frühzeitig gegensteuern und zum Abschluss noch kalt duschen: kalte Dusche als optimale Vorbereitung auf die Welt, wie sie ist. Aber die Konfrontation mit der Wirklichkeit bleibt dieselbe. Ich kann den Zusammenstoß mildern, indem ich mich anstelle einer von Plexiglas umschlossenen Duschkabine mit dem Duschvorhang begnüge – dann weht schon während des warmen Schauers ein kühler Hauch von Wirklichkeit herein, aber es ist auch nur das halbe Vergnügen: Wer alle Lust haben will, muss bereit sein, alle Schrecknisse der Wirklichkeit zu ertragen. Was ist Wirklichkeit? Das, womit ichfertig werden muss. Was ist ein schönes Leben? Das Leben, das angenehme Erfahrungen bereithält und die unangenehmen aushalten lässt. Auf die wirkliche Dusche folgt unvermeidlich die Wirklichkeitsdusche: Ontologie der Duschkabine. Vorhang auf zum
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