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Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)

Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)

Titel: Mit Worten kann ich fliegen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Draper
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Klassik.
    Aus irgendeinem Grund habe ich schon immer Countrymusik gemocht – laute, gitarrenklimpernde Herz-Schmerz-Musik. Country ist wie Zitronen – nicht sauer, sondern zuckersüß und spritzig. Zitronenzuckerguss, kühle, frische Limonade! Zitrone, Zitrone, Zitrone! Ich liebe es.
    Ich erinnere mich daran, wie ich in unserer Küche saß, als ich richtig klein war, und Mom mich zum Frühstück fütterte und ein Lied im Radio kam, das mich vor Freude aufkreischen ließ.
    So I’m singin’, Elvira, Elvira
    My heart’s on fire, Elvira
    Giddy up, oom poppa,
    oom poppa, mow mow
    Giddy up, oom poppa,
    oom poppa, mow mow
    Heigh-ho Silver, away
    Woher kannte ich bereits die Worte und den Rhythmus dieses Liedes? Ich habe keine Ahnung. Es muss irgendwie in mein Gedächtnis gesickert sein – vielleicht aus dem Radio oder dem Fernseher. Wie dem auch sei, ich fiel fast aus dem Stuhl. Ich zog eine Grimasse und zuckte und ruckelte, während ich versuchte, auf das Radio zu zeigen. Ich wollte das Lied noch einmal hören. Aber Mom sah mich nur an, als wäre ich durchgedreht.
    Wie hätte sie verstehen sollen, dass mir das Lied
Elvira
von den Oak Ridge Boys gefiel, wenn ich es selbst kaum verstand? Ich konnte ihr nicht erklären, dass ich frisch aufgeschnittene Zitronen roch und zitronenfarbige Musiknoten in meinem Kopf sah, während das Lied lief.
    Hätte ich einen Pinsel gehabt … wow! Was wäre das für ein Gemälde gewesen!
    Aber Mom schüttelte nur den Kopf und löffelte weiter Apfelmus in meinen Mund. Es gibt so viel, was meine Mutter nicht weiß.
    Wahrscheinlich ist es gut, nichts vergessen zu können – meinen Kopf mit jedem Augenblick meines Lebens vollzustopfen. Aber es ist auch sehr frustrierend. Nichts davon kann ich mit jemandem teilen, und nichts davon geht je wieder weg.
    Ich erinnere mich an dummes Zeug, zum Beispiel wie sich ein Klumpen Haferbrei anfühlt, der oben an meinem Gaumen festklebt, oder an den Geschmack von Zahnpasta, die nicht von meinen Zähnen gespült wurde.
    Der Geruch von Kaffee am frühen Morgen ist eine permanente Erinnerung, vermischt mit dem Geruch nach Speck und dem Hintergrundgequatsche der Sprecher in den Morgennachrichten.
    Vor allem aber erinnere ich mich an Worte. Schon sehr früh hatte ich kapiert, dass es Millionen von Wörtern auf der Welt gibt. Jeder um mich herum konnte sie mühelos aussprechen.
    Die Verkäufer im Fernsehen:
Kaufen sie drei zum Preis von einem! Nur für begrenzte Zeit.
    Der Postbote, der an die Tür kam:
Morgen, Mrs Brooks. Wie geht es dem Baby?
    Der Kirchenchor:
Halleluja, halleluja, Amen.
    Der Kassierer im Supermarkt:
Danke, dass Sie heute bei uns eingekauft haben.
    Jeder benutzt Worte, um sich auszudrücken. Außer mir. Und ich wette, die meisten Menschen begreifen die wahre Macht von Worten gar nicht. Aber ich tue das.
    Gedanken brauchen Worte. Worte brauchen eine Stimme.
    Ich liebe es, wie die Haare meiner Mutter riechen, wenn sie sie gewaschen hat.
    Ich liebe das Gefühl der kratzigen Stoppeln im Gesicht meines Vaters, bevor er sich rasiert.
    Aber ich habe es ihnen nie sagen können.

Kapitel 3
    Ich glaube, ich begriff nur langsam, dass ich anders war. Da ich nie Probleme mit dem Denken oder Erinnern hatte, überraschte es mich ehrlich gesagt irgendwie, dass ich Sachen nicht tun konnte. Und es machte mich wütend.
    Als ich noch sehr klein war – bestimmt noch kein Jahr alt –, brachte mein Vater mir eine kleine Plüschkatze mit nach Hause. Sie war weiß und weich und hatte genau die richtige Größe, um von pummeligen Babyfingern gehalten zu werden. Ich saß in einer dieser Babywippen auf dem Boden – sicher angegurtet, während ich meine Welt aus grünem Flauschteppich und dazu passendem Sofa inspizierte. Mom legte mir die Spielzeugkatze in meine Hände, und ich lächelte.
    »Hier, Melody. Daddy hat dir ein Wuschelpuschel mitgebracht«, gurrte sie mit dieser hohen Stimme, die Erwachsene benutzen, wenn sie mit Kindern reden.
    Was bitte ist ein »Wuschelpuschel«? Als wäre es nicht schon schwierig genug, echte Dinge zu verstehen, muss ich auch noch die Bedeutung erfundener Wörter entschlüsseln!
    Aber mir gefiel das weiche, kühle Fell der kleinen Katze. Dann fiel sie auf den Boden. Dad gab sie mir zum zweiten Mal in die Hände. Ich wollte sie wirklich festhalten und mit ihr schmusen. Aber sie fiel wieder zu Boden. Ich erinnere mich, dass ich wütend wurde und zu weinen anfing.
    »Versuch es noch einmal, Liebling«, sagte Dad. Traurigkeit

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