Mit Yoga Lebensaengste bewaltigen
Bewusstseins sich zur einen Hälfte aus der objektiven Realität und zur anderen Hälfte aus unserer Interpretation dieser Realität zusammensetzt. Die zutiefst menschliche Fähigkeit, Ereignissen eine Bedeutung und einen Wert zu geben, wird hier gewürdigt. Oft höre ich Menschen klagen, dass sie keinen Sinn mehr in ihrer Arbeit oder, schlimmer noch, in ihrem Leben sehen. Ereignisse können nicht mehr in das vorhandene Sinnkonzept integriert werden. Der Filmemacher und Autor Alexander Kluge hat in einem Interview anlässlich seines 80. Geburtstags treffend formuliert: »Wir leben heute in einer gesellschaftlichen Situation, in der das kollektive Lebensprogramm von Menschen schneller zerfällt, als die Menschen neue Programme entwerfen können.« Ich bin Optimistin: Während ich dies schreibe, ist es Frühling, und ich kann mal wieder beobachten, wie plötzlich innerhalb einer Woche die bunte Vielfalt aus allen Knospen hervorbricht. Gleichzeitig weiß ich, dass die dunkle Jahreszeit als Vorbereitung notwendig war, um all die Schönheit in Ruhe reifen zu lassen.
Ich habe in diesem Buch ganz bewusst Übungsanleitungen mit theoretischen Ausführungen abgewechselt. Das hat sich aus meinem Bedürfnis entwickelt, die rechte und linke Hirnhälfte der Leserin, des Lesers gleichermaßen anzusprechen. Es werden sich auch Gedanken der Yoga-Philosophie mit wissenschaftlichen Ergebnissen aus dem westlichen Kulturkreis abwechseln. Als Yogalehrerin ist mir das Verbinden der verschiedenen Ebenen ein Anliegen.
Das Buch kann von vorne bis hinten gelesen werden, oder die Leserin, der Leser sucht sich das Kapitel raus, das sie bzw. ihn im Moment besonders anspricht. Die Motivation und Aufmerksamkeit wird im zweiten Fall vermutlich stärker sein. Ich lade herzlich dazu ein, das Buch immer wieder für einen Moment beiseite zu legen, um der Übungsanleitung zu folgen. Es ist jedoch auch völlig in Ordnung, eine Übung »nur« zu lesen und innerlich in der Vorstellung mitzuvollziehen. Es gehört zu den Grundüberzeugungen dieses Buchs, dass innere Bilder und Vorstellungen eine ähnliche Wirkung erzielen wie tatsächliche Handlungen. Gedanken haben immer auch eine Wirkung auf den Körper und den Atem. Hier bestätigen die Ergebnisse der modernen Hirnforschung das alte Erfahrungswissen der Yogis.
Als mich Dr. Christiane Neuen vom Patmos Verlag fragte, ob ich Lust hätte, meine 25-jährige Erfahrung in der psychotherapeutischen Praxis zu einem Buch zu verarbeiten, war ich sofort begeistert. Ich habe meinen Beruf stets geliebt. Was gibt es Schöneres auf der Welt, als Menschen in ihrem inneren Wachstum zu begleiten? Die meisten meiner Patientinnen und Patienten kamen in einer Krisensituation zu mir, die viele Ängste auslöste: Das Alte löste sich auf und das Neue war noch nicht gefunden. Die therapeutische Begleitung endete dann oft mit der Erkenntnis, dass das Leben jetzt nach dieser Krise viel lebenswerter war als zuvor. Ein lästiges Symptom, eine Krankheit oder eine Trennung hatte eine ungünstige Entwicklung zu einem Höhepunkt getrieben, der sich als Wendepunkt zu einem besseren Leben nutzen ließ. In all den Jahren habe ich mindestens genauso viel von meinen Patientinnen und Patienten gelernt wie diese von mir, was ich mit diesem Buch gerne weitergeben möchte.
1. Was ist Angst?
Angst ist ein allgemein menschliches Gefühl, das durch eine bedrohliche Vorstellung oder durch eine plötzlich auftretende reale Gefahr ausgelöst wird und sich in spezifischen körperlichen, emotionalen und gedanklichen Phänomenen Ausdruck verschafft. In dem Interview, das die beiden Psychotherapeutinnen Christa Diegelmann und Margarete Isermann mit Gerald Hüther führen, wird Angst folgendermaßen definiert: »Angst ist ein innerseelischer Vorgang, der vergangene unangenehme Erfahrungen in die Zukunft projiziert und dabei verallgemeinert und wenig Raum für neue Erfahrungen zulässt.« 2 Dabei kann es sich um eine länger andauernde Stimmung oder um ein plötzlich auftauchendes Gefühl handeln. Das Wort »Angst« leitet sich von dem Wort »Enge« ab. Der Blickwinkel wird eingeengt, verliert Flexibilität, Weite und damit die Möglichkeit, verschiedene Perspektiven wahrnehmen zu können, so dass auch von einem »Tunnelblick« gesprochen wird. Dem von Angst überfallenen Menschen fällt es schwer, an etwas anderes zu denken, er ist wenig offen für andere Denk- oder Sichtweisen.
Es gibt wohl kaum einen Menschen, der dieses Gefühl des
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