Mit Zähnen und Klauen: Horror-Thriller von Bestseller-Autor Craig DiLouie (German Edition)
erkrankt, und seine Mutter braucht ihn. Das hat sie so in ihrem Brief geschrieben. Sie fürchtet, seine Schwester werde tollwütig und rufe dadurch den Sheriff auf den Plan. Der werde sie ganz sicher erschießen und ihre Leiche zum Verbrennen auf einen der großen Scheiterhaufen außerhalb der Stadt werfen. Die Tatsache, dass der Brief bereits vor einer Woche geschrieben wurde, ist für Boyd nicht von Belang.
Das einzige Problem bei der Durchführung seines Vorhabens besteht darin, dass er nicht einmal genau weiß, wo er sich gerade befindet, und noch weniger, wie er während einer grassierenden Pandemie in den Randbezirk von Boise gelangen soll. Der Flugverkehr ist eingestellt worden und die Straßen werden allem Anschein nach von gemeingefährlichen Irren bevölkert.
Wer über 30 Tage lang unerlaubt abwesend bleibt, gilt als Deserteur. Als solchen können sie ihn sogar erschießen, falls sie ihn schnappen. Nach allem, was er heute Abend erlebt hat, zweifelt er nicht daran, dass sie es tun würden. Die Zeiten sind hart und werden noch härter.
Gut möglich, dass er ins Glied zurückkehrt, nachdem er dem Girl aus der Klemme geholfen hat. Der Gedanke, hingerichtet zu werden, verdrängt zusehends alle anderen in seinem Kopf und gefällt ihm überhaupt nicht. Er hat sich das alles nicht gründlich überlegt, bevor er den Posten verließ … Sein Plan löst sich schon jetzt in Luft auf.
Susan verschwindet im nächsten Hauseingang und er läuft ihr nach.
»Was jetzt?«
Sie mahnt ihn zum Schweigen. Die beiden drängen sich aneinander.
Dann hört er es: Tollwütige heulen in der Dunkelheit.
Das matte Licht der flackernden Straßenlaternen erfasst zwei Teenagerinnen, die nun die Straße überqueren. Eine bleibt stehen und blickt genau auf die Stelle, an der sich Boyd mit Susan im Schatten versteckt. Zitternd gibt sie einen tiefen Kehllaut von sich und macht einen Buckel. Sie hält die Hände zu Fäusten verkrampft an den Seiten, und Schaum, der zwischen zusammengebissenen Zähnen hervortritt, tropft auf ihr T-Shirt.
Die andere – das lange Haar fällt ihr in einzelnen Strähnen vors Gesicht – humpelt weiter. Ein Bein zieht sie nach, es blutet und scheint gebrochen zu sein. Dann hält auch sie inne und beginnt mit Blick auf das Versteck von Boyd und Susan zu grollen.
Er legt mit seinem M4 an, da brummt das erste Mädchen lauter. Susan schlottert und atmet flach vor Panik.
»Knall sie ab, knall sie ab …«
Er fährt sich mit der Zunge über die Lippen. Eine Woge blanken Entsetzens raubt ihm die Sinne. Das Herz trommelt heftig gegen seine Brust, und er glaubt zu spüren, wie sich seine Eingeweide verflüssigen. Er blinzelt und versucht, sich auf seine Ausbildung zurückzubesinnen, doch für so etwas ist er nie gewappnet worden. Er kann nicht sagen, was er tun wird, sollte ihn dieses junge Mädchen angreifen. Im Irak gestaltete sich die Sachlage zwar auch niemals eindeutig, aber gegen amerikanische Bürger vorzugehen, die sich quasi in durchgeknallte Zombies verwandelt haben, ist etwas Neues und war nie Bestandteil seines Trainings. Statt sich zu konzentrieren, fesselt ihn nun ein Gedanke, den er vor kurzem aufschnappte. Demnach könnten die Laute der Tollwütigen der Verständigung dienen, bloß dass ihr Sprechapparat teilweise gelähmt sei und nur dieses spukhafte Gurgeln hervorbringe. Er bekommt diesen Gedanken nicht mehr aus dem Kopf und fragt sich, was sie ihm mitteilen wollen.
Eine Meute junger, muskulöser Asiaten in Achselhemden und Jeans schält sich aus dem Dunkel und fällt mit Metallrohren sowie Baseballschlägern über die Teenies her. Sogleich brechen die beiden unter den Schlägen zusammen, doch abgesehen davon, dass ihre Turnschuhe über den Asphalt scharren, während sie sich winden und zappeln, geben sie keinen Ton von sich, bis sie tot sind. Boyd hört Knochen brechen, als die Hiebwaffen treffen, und ein Klirren auf dem Straßenbelag, wenn sie die Leiber verfehlen.
»Um Gottes willen«, ringt er sich ab. Ihm ist hundeelend.
Einer der Jungen richtet sich auf und blickt in ihre Richtung.
»Sei still«, zischt Susan neben ihm.
»Warum? Sie sind nicht infiziert.«
»Ich bin diesen Typen schon einmal begegnet«, flüstert sie. »Mit ihnen ist nicht zu spaßen.«
Nach der Bluttat zieht die Bande wortlos weiter.
»Los, Rick«, drängt Susan mit einem Seufzer. »Wir sind gleich da.«
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