Mit Zähnen und Klauen: Horror-Thriller von Bestseller-Autor Craig DiLouie (German Edition)
hat.
Baird liegt bäuchlings am Ende jener langen, dunklen Blutspur im Korridor und zuckt. Vermutlich erliegt er nun langsam seinen Wunden. Wer weiß, welche Verletzungen sein Körper davontrug, als sie ihn mit dem Golfschläger zusammenschlug, dann bei seinem Ausbruch durch die Tür oder im Zuge dessen, was Jackson hinterher mit ihm angestellt haben mochte?
Auf dem zweiten Schirm, der den Flur vor dem Westflügel zeigt, gehen Lucas und Fuentes gemeinsam auf die Pirsch, indem sie an Türen schnüffeln.
Petrova sieht interessiert zu.
Sie greifen sich nicht gegenseitig an, nur uns , denkt sie bei sich. Rührt daher der Geruch, den sie absondern? Ein olfaktorischer Hinweis darauf, dass die jeweilige Person bereits angesteckt wurde und deshalb ›sauber‹ ist? Wie würden sie einander sonst erkennen?
Sie gehen an der Stelle vorbei, wo Saunders am Boden liegt und immer noch zuckt. Dann steht er langsam auf. Eines seiner Ohren wurde abgebissen, aber das scheint ihn nicht zu bekümmern.
Petrova betätigt eine Taste auf dem Keyboard, um eine andere Kamera zu wählen.
In dieser Einstellung sieht sie das stattliche Hauptfoyer im Erdgeschoss, wo sich der Mob aufhält. Viele der Leute winken ins Objektiv, während eine hübsche Blondine in ihrer Mitte – Petrova kennt sie aus einer Fernsehserie – ein Schild hochhält, auf dem steht: JETZT! ODER WIR TÖTEN DEN ANDEREN.
Bei aller Faszination für das, was hier vor sich geht, ist dies im Augenblick eher nebensächlich für Petrova. Sie zwingt sich, den Komplex weiter mithilfe der Kameras zu erkunden: leere Flure, ein stillstehender Fahrstuhlbereich, ein verwaister Hörsaal, ein verlassenes Archiv … ein Korridor, auf dem der malträtierte Leib eines Mannes die Tür zu den Herrentoiletten aufhält. Petrova identifiziert ihn sofort als Dr. Sims.
Ihr erster Gedanke: Er ist tot .
Den zweiten Gedanken kann sie nicht verdrängen, und er erfüllt sie mit Scham: Gott sei Dank. Gott sei Dank ist er nicht tollwütig .
Das Bild der anderen Leinwand zeigt Joe Hardy, der im Westflügel auf dem Rücken in einer Lache seines eigenen Blutes liegt. Er hat die Augen geöffnet, sein Gesicht ist zu einer Maske des Entsetzens erstarrt. Erstaunlicherweise lebte er noch lange genug, um sein Mobiltelefon an sich zu nehmen, denn jetzt liegt es in seiner Hand. Ob er den Anruf noch entgegengenommen hat?
Petrova erträgt seinen Anblick nicht. Schnell schaltet sie auf einen anderen Flur um. Hier ragen ein Paar Beine in Männerhosen aus der Tür eines Büros hervor. Noch jemand, der sein Leben lassen musste.
»Hallo?, Hier spricht Sandy. Sind Sie noch da, Dr. Petrova?«
»Noch eine Minute, Sandy.«
»Ich dachte gerade an Dr. Sims. Er ist tot, nicht wahr?«
»Bitte gedulden Sie sich.«
»Wir haben ihn dort zurückgelassen, und er starb, richtig?«
»Sandy, bitte. Ich versuche, einen Weg zu finden, um Sie sicher dort herauszuholen.«
Petrova klickt sich rasend schnell durch die übrigen Einstellungen, ausnahmslos von verlassenen Orten, und jongliert in Gedanken ein wenig mit Zahlen: Gegenwärtig sind höchstens fünf Personen noch nicht infiziert, darunter Sandy Cohen und sie selbst. Sie verbergen sich an unterschiedlichen Plätzen, höchstwahrscheinlich in den Büros.
Geh zurück , pocht eine innere Stimme.
Nun sieht sie die Kameraaufnahmen in umgekehrter Reihenfolge durch, sucht wahllos und ist alsbald frustriert.
»Wonach suche ich?«, fragt sie laut und ärgert sich.
»Dr. Petrova? Ist noch jemand bei Ihnen?«
»Nein, Sandy. Ich bin allein.«
»Stringer ist nicht da?«
»Ich habe mit mir selbst …«
Plötzlich schreit die Stimme in ihrem Kopf auf: Stringer!
Ohne weiter auf Cohens Fragen einzugehen, ruft sie das laufende Video von Sims im Rahmen der Tür zur Herrentoilette wieder auf.
»Oh«, raunt sie leise.
Hinter ihm im Spiegel an der Wand über den Waschbecken erkennt sie Jackson, der sich selbst betrachtet. Die Kamera hängt so weit entfernt, dass die Auflösung zu wünschen übrig lässt, doch es genügt, um nachzuvollziehen, was er tut.
Er tupft äußerst sachte an seinem rechten Auge herum – beziehungsweise dem linken, da sie es spiegelverkehrt sieht. Jawohl, er nestelt an seinem Auge. Oder besser gesagt an dem, was davon übriggeblieben ist.
Jackson, der übergewichtige, außer Form geratene Cop in Rente, hat Baird bezwungen, doch dieser biss ihm ins Gesicht und zerstörte sein linkes Auge.
Er steht eindeutig unter Schock … und muss zwangsläufig infiziert
Weitere Kostenlose Bücher