Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
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Verantwortung des Empfängers. Nachdem der Appell offen ausgedrückt worden ist, sind zwei Reaktionen des Empfängers möglich: Ja oder Nein. Wenn er dem Appell nachkommt (ja), ist es wichtig, dass er sodann die Eigenverantwortung für die appellgemäße Handlung übernimmt und sich nicht hinterher darauf beruft: «Du hast es ja so gewollt – ich kann nichts dafür!» Wenn ich in gleichberechtigten Beziehungen die Freiheit habe, einem Appell nachzukommen oder nicht nachzukommen, dann beruht ein appellgemäßes Verhalten auf meiner Entscheidung und enthält meine Urheberschaft. Verantwortung für appellgemäße Handlungen zu übernehmen: dieses wichtige Lernziel stellt sich dem Erwachsenen – hier muss Hans lernen, was das (zum Gehorsam verpflichtete) Hänschen noch nicht hat lernen können.
Im Falle der Ablehnung: Es ist im Sinne des hier vorgeschlagenen Umgangsstiles, dass der Empfänger den Mut zu einem klaren «Nein» findet, wenn er dem Appell nicht nachkommen will. So paradox es klingt, nur das klare, direkte Nein ermöglicht den offenen Appell auf Seiten des Senders. Denn als Sender «riskiere» ich den offenen Appell ja häufig nur dann, wenn ich sicher sein kann, dass der andere auch wirklich «ja» meint , wenn er «ja» sagt .
Entsprechend sollte der Sender das klare «Nein» wertschätzen, mag er auch über den Inhalt der Antwort enttäuscht sein. Kann ich zugleich enttäuscht (über den Inhalt) und froh (über den Prozess) sein? Ja, ich kann.
Analog dazu sollte der Empfänger nach seinem Nein kein Ressentiment über die «Zumutung» des Appells hegen. Stattdessen sollte der Empfänger von der Haltung beseelt sein: «Zwar will ich dem Appell nicht nachkommen (Ablehnung des Inhaltes), aber ich finde es in Ordnung, dass du deine Wünsche sagst» (Zustimmung zum Prozess).
Der hier beschriebene Appell-Umgangsstil lässt sich auf folgende Kurzformel bringen:
Es ist erlaubt und erwünscht, dass der Sender seine Wünsche deutlich anmeldet – und es ist erlaubt und erwünscht, dass der Empfänger dem Appell unter Umständen nicht nachkommt.
Die dazu notwendigen Grundhaltungen sind in Abb. 85 noch einmal zusammengestellt. Sie sind erst zu erwerben, wir bringen sie selten «von Haus aus» mit. Auch garantiert dieser Umgangsstil keine Harmonie – im Gegenteil, vorhandene Konflikte werden sichtbarer als zuvor. Aber er begünstigt klare Lösungen und überhaupt eine «klare Luft», in der sich atmen und leben lässt.
Abb. 85:
Notwendige Grundhaltungen bei Sender und Empfänger für einen offenen Appell-Umgangsstil.
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Nachwort für Psychologen
und für all die, die mit Psychologie in Berührung kommen
1.
Chancen und Gefahren einer «psychologischen» Kommunikation
Was das heutige Leben auf dem Erdball so gefährlich macht, ist das gigantische Auseinanderklaffen zwischen technologischem Vermögen und zwischenmenschlichem Unvermögen. Es ist dringend geboten (wenn nicht schon zu spät), in der Fähigkeit zur Verständigung aufzuholen. Dieses Buch enthält Richtungsschilder und Handwerkszeug für die zwischenmenschliche Kommunikation.
Was können wir damit anfangen? Sind von der Wissenschaft heilsame Anstöße zu erwarten – oder laufen wir Gefahr, in einer Verwissenschaftlichung des mitmenschlichen Umgangs einer neuen Entfremdung Vorschub zu leisten? Manchmal kommt mir diese Sorge, wenn ich sehe, dass durch eine allzu flüchtige Begegnung mit der Psychologie anstatt neuer Haltungen neue Verhaltensschablonen Platz greifen. Diese Sorge habe ich 1980 in der Zeitschrift Psychologie heute (Nr. 9) in einer Satire zum Ausdruck gebracht. Um deutlich zu machen, in welcher Richtung ich das vorliegende Buch nicht missverstanden haben möchte, sei die Satire hier noch einmal abgedruckt. Darin ist auch eine Frage berührt, die an mich oft gestellt wird: «Können Sie als Psychologe überhaupt noch spontan, sozusagen als Mensch, reagieren?»
Bewunderung, Argwohn und etwas Angst steckt in dieser Frage. Bewunderung darüber, dass der Psychologe (vermeintlich) so souverän über der Sache des zwischenmenschlichen Geschehens steht und alles durchschaut, was sich abspielt. Gleichzeitig die Angst, «dass er mich sogleich durchschaut, was immer ich auch von mir gebe». Und Argwohn, dass sich zu dem Psychologen keine normale mitmenschliche Beziehung herstellen lässt, dass man nie den Menschen antrifft, sondern immer den Psychologen, dessen Verhalten weniger seinen innersten
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