Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
widerliche Sau!» eine rüde Du-Botschaft ausgestoßen. Natürlich weiß ich heute, dass ich durch ein derartiges Verhalten nur etwas Herabsetzendes über sie sagen würde und dabei ganz im Unklaren ließe, was denn überhaupt in mir vorgeht.
Da mir nach Metakommunikation und Verständnis im Augenblick überhaupt nicht zumute war – man bedenke das widerwärtig nasse Hemd auf der Haut – und da ich auch und gerade als Psychologe zu meinen Gefühlen im Hier und Jetzt stehen möchte, entschloss ich mich zur sofortigen Echtheit und sagte ganz spontan mit lauter Stimme, ohne dabei im mindesten zu lächeln: «Ich bin jetzt sehr wütend, Maria!!»
Da Maria wortlos ging (Aggressions- und Fluchttendenzen sind typische Reaktionen auf Situationen, in denen man sich unzulänglich fühlt), war es mir nicht mehr möglich, meine Störung anzumelden und hilfreich auf sie einzugehen. Ich fühle, dass noch etwas Unerledigtes zwischen uns ist, und wir werden daran beim nächsten Mal wohl arbeiten müssen. Auch nahm ich mir vor, die Sache in meiner Supervisionsgruppe vorzutragen, um meinen eigenen Anteil an dem Geschehen zu klären (hatte sie mich nicht doch an der einen Stelle an meine Mutter erinnert?).
Jedenfalls zeigt die Geschichte sehr deutlich, wie schwierig sich die Kommunikation mit jemandem gestaltet, der noch nicht so weit ist, dem das seelische Rüstzeug für eine wirkliche Begegnung noch fehlt.
3.
Eine «déformation professionelle»?
Ich möchte nicht missverstanden werden mit dieser Satire. Ich bin nicht dagegen, sondern dafür, dass die Begegnung mit Psychologie zur Persönlichkeitsbildung beitrage. Denn was nützt es, wenn der Psychologe allerlei wissenschaftliche Erkenntnisse und methodisches Rüstzeug hat, aber im Umgang mit sich selbst und mit anderen genauso unbeholfen ist wie seine Klientel? Wir haben an die Eigenart unseres Faches zu denken, dass sich die Vermittlung von Psychologie vor allem auch durch die persönliche Begegnung vollzieht und dass die Persönlichkeit des psychologischen Vermittlers ein wesentlicher Teil seiner Botschaft und seines Handwerkszeuges ist . Wenn wir unserer Klientel die Erweiterung der Selbstkenntnis und der mitmenschlichen Fähigkeiten bieten wollen, müssen wir in der Tat bei uns selbst anfangen.
Mein Unbehagen setzt da ein, wenn dieser Prozess, für den es keine Alternative gibt, auf Abwege führt. Der Held der Satire begegnet uns in einem pseudo-professionellen weißen Imponier-Kittel, hinter dem sich menschliche Unbeholfenheit verbirgt und nicht wirklich auszudrücken wagt. Statt der üblichen Alltagsfassade finden wir eine neue Psycho-Fassade vor.
Ich habe im Zusammenhang mit der Satire von einer «déformation professionelle» des Psychologen gesprochen, also von einer berufsbedingten charakterlichen Verschrobenheit. Jedoch hat Ruth Cohn zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich in Wahrheit um eine (allerdings häufige) «déformation non-professionelle» handele, also um ein Fehlverständnis von Psychologie, das durch mangelhafte Ausbildung bedingt ist. Sie schreibt: «Deinem Helden fehlen professionell die Lehre von Empathie, von selektiver Echtheit und vom Globus (sonst aber geht’s ihm gut!)!» (Persönliche Korrespondenz, 1980)
Untersuchen wir nun im Einzelnen, was schiefgegangen ist.
4.
Psycho-Jargon
Die erste Gefahr sehe ich darin, dass bestimmte Verhaltensweisen, die ursprünglich als Ausdruck einer Grundhaltung zu verstehen sind, sich von dieser Grundhaltung lösen und zu einem neuen «Psycho-Knigge» werden, dessen korrekte Einhaltung sich in der tadellosen Beherrschung eines klischeehaften Psycho-Jargons zeigt, welcher oft zur Grundlage eines Überlegenheitsgefühles wird. Der neue psychologische Verhaltensstil (z.B. tadellos formulierte Ich-Botschaften, aktives Zuhören, Metakommunikation, das flotte, geübte Sprechen vom «eigenen Anteil» usw.) gleicht dann einem geschmückten aufgeputzten Wagen, der hinter die alten Zugpferde gespannt wird: Persönlichkeitszugpferde, die in die alte Richtung laufen und dem Ziel der Überlegenheit und der Kaschierung von Unsicherheit zustreben.
Ohne Zweifel: Der Gedanke, der hinter dem Konzept der Ich-Botschaft (vgl. S. 88f.) steht, ist persönlichkeitserweiternd und mitmenschlich konstruktiv: der Gedanke nämlich, dass die Art, wie ich meine Umwelt und meine Mitmenschen wahrnehme und bewerte, sehr stark meine innere Verfassung widerspiegelt. Nicht nur bei projektiven Tests ist der Blick in die Welt immer auch
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