Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
gehen.»
Befürchtung, dass dem Empfänger der Mut zum «Nein» fehlt. In vielen Fällen möchte der Sender einen Wunsch nur dann erfüllt bekommen, wenn der Empfänger es auch «wirklich gerne» tut oder wenn es ihm zumindest «nicht allzu viel ausmacht». Eigentlich läge nichts näher, als dies durch eine Frage zu erkunden. Aber manche Empfänger halten eine Ablehnung für beziehungsschädlich und kommen dem Appell in falsch verstandener Nächstenliebe nach, vielleicht innerlich grollend. Genau dies aber fürchtet der Sender. Was tut er? Entweder verzichtet er ganz darauf, seinen Wunsch vorzutragen, oder er begnügt sich mit einer schwachen Andeutung, um dem anderen eine implizite Ablehnung zu ermöglichen, die im «Überhören» der Appellseite besteht.
Romantische Vorstellung von «Liebe». Manche Menschen sehen es als Beweis der echten Liebe an, wenn es gelingt, dem anderen «die Wünsche von den Augen abzulesen», also auf den offenen Appell gar nicht angewiesen zu sein. In ihren Augen würde der ausgedrückte Wunsch seine Erfüllung entwerten. – Obwohl nicht zu leugnen ist, dass ein solcher Von-den-Augen-Ablesestil das Gefühl von inniger Verbundenheit begründen und verstärken kann, besteht hier die Gefahr der «Konfluenz» (des Zusammenfließens), d.h. der unentwirrbaren Verflechtung von eigenen Phantasien und Wünschen des anderen. Beispiel für konfluenten Umgangsstil: «Wollen wir heute ins Kino gehen?» fragt der Mann, in der Meinung, er müsse seiner Frau ‹mal wieder etwas bieten›. Sie bejaht, um ihm einen Gefallen zu tun.
Vermeidung von Verantwortung. Ein Abteilungsleiter steht bei seinen Mitarbeitern in dem Ruf, nie klar zu sagen, was er wirklich will, das sie tun sollen. «Er bittet mich zu einem Gespräch, macht lange, umständliche Ausführungen (= auf der Sachseite der Nachricht), und ich rätsel immer nur, was er von mir will (= welcher Appell in seiner Nachricht steckt). Ich ahne es manchmal, aber er lässt sich da auch nie festlegen!» – berichtet einer seiner Mitarbeiter. Vermutlich hat sich dieser Abteilungsleiter einen Kommunikationsstil angewöhnt, der ihn aus folgendem Dilemma befreit: Einerseits möchte er Einfluss nehmen. Andererseits besteht aber immer die Möglichkeit, dass sich Entscheidungen als falsch herausstellen, dass die Sache «schiefgeht», oder dass die Entscheidung für andere Personen nachteilig ist und man sich «Feinde macht». Für solche Fälle ist es am besten, die Urheberschaft der betreffenden Entscheidung dementieren zu können, notfalls sogar gekonnt «aus allen Wolken zu fallen». Die Appelle werden so gesendet, dass sie zwar dem Empfänger die Richtung weisen, dass aber der Sender hinterher nicht darauf «festgenagelt» werden kann. Eine (oft unbewusst eingesetzte) Strategie, der Verantwortung zu entgehen. Auch hier wieder: es tun, aber es hinterher nicht gewesen sein …
5.2
Der offene Appell als Heilmacher einer kranken Kommunikation
Der offene Appell (= einen Wunsch direkt äußern) steht im Gegensatz zu
den taktischen Schleichwegen (verdeckte und paradoxe Appelle);
dem konfluenten Umgangsstil (vgl. S. 286), wo zwischen meinen und deinen Wünschen nicht klar unterschieden wird und die gemachten Vorschläge die vermeintlichen Wünsche des anderen enthalten;
den unausgedrückten Wünschen. Diese verwandeln sich in Gift und kommen nicht selten als Vorwürfe (= Wünsche hinterher!) zum Ausdruck.
Überhaupt steht der offene Wunsch im Gegensatz zu jeder
rückwärtsblickenden Klage («Hättest du nicht …»). Statt diesem «Blick zurück im Zorn» hat der offene Wunsch den Blick nach vorn.
Also sollten die Energien in die Zukunftsgestaltung und nicht allzu sehr in die Klage über das Gewesene hineinfließen. Beispiel (s. Abb. 84): «Würdest du heute das Geschirr spülen?» ist besser als «Könntest du nicht wenigstens heute mal das Geschirr spülen?» Die zweite Version enthält einen Vorwurf als korrelierte Botschaft (vgl. S. 72ff.) und macht es dem Empfänger schwer, dem Appell frohen Herzens nachzukommen, schon deshalb, weil dies mit dem Eingeständnis einer Schuld zusammenfallen würde.
Abb. 84:
Offene Appelle sind nur dann «Heilmacher», wenn sie kein Beziehungs-«Gift» im Schlepptau haben.
Wie häufig kommt es vor, dass der Empfänger dem Appell selbst gern nachkommen würde, aber die mitgesendete Atmosphäre seine Bereitschaft zerstört. Die Folge: ungehorsame Kinder und trotzige Ehepartner.
Der Empfänger
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