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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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seinerseits kann sich diese Überlegungen zunutze machen, indem er, konfrontiert mit Beschwerden und Anklagen, die Frage nach dem Appell stellt: «Ich höre viel Ärger über das, was gewesen ist – wie möchten Sie, dass wir in Zukunft verfahren sollen?» Durch diese kleine Weichenstellung kann das Gespräch eine ganz neue Richtung nehmen.
    5.3
    Notwendige mit dem offenen Appell verbundene Grundhaltungen
    Ich habe den offenen Appell als ein kommunikationspsychologisches Heilmittel empfohlen. Jedoch ist dies schnell empfohlen und schwierig in die Tat umzusetzen. Ich möchte jetzt einige Voraussetzungen und einige notwendige Grundhaltungen ansprechen, die sich mit dem offenen Appell verbinden müssen – sonst besteht die Gefahr neuer Schwierigkeiten.

    Mit sich selber klar sein. Der offene Appell setzt voraus, dass der Sender sich darüber im Klaren ist, was er will. Diese Voraussetzung scheint selbstverständlich, ist in der Realität aber häufig nicht gegeben. So ist es oft leichter, sich den Wünschen anderer zu fügen (und sich ggf. hinterher zu beschweren), als selbst klare eigene Wünsche ins Spiel zu bringen. Ruth Cohn (1975) empfiehlt, klein anzufangen: Ihre Übung lautet: «Ich muss tun, was ich will – für 10 Minuten. – Ein therapeutisches Spiel für Psychotherapeuten, Patienten und andere Leute.» Sie empfiehlt ferner, dieses Spiel zunächst allein im eigenen Zimmer zu spielen – die Anwesenheit anderer macht das Spiel um eine Stufe schwieriger.
    Auch hier stehen wir wieder vor der Tatsache, dass eine gute Kommunikation die innere Klarheit voraussetzt. Allerdings kann das Aussprechen der eigenen Unklarheit ein Mittel zur Selbstklärung sein.

    Appell mit Informationscharakter. Folgende Grundhaltung muss sich mit dem offenen Appell verbünden, um zu einem konstruktiven Umgangsstil zu führen:

     
Ich sage meinen Wunsch, damit du informiert bist. Ich sage ihn um der Transparenz der Situation willen, nicht, um ihn unbedingt durchzusetzen. Genauso möchte ich wissen, was du willst, wiederum nicht um mich gleich zu fügen, sondern um Entscheidungen auf der Grundlage vollständiger Informationen treffen zu können.

    Unter diesem Vorzeichen hat der offen vorgetragene Wunsch nichts mit Egoismus zu tun. «Du hast zehn Semester Egoismus studiert!», beklagte sich der Partner einer Psychologie-Studentin, die während ihres Studiums gelernt hatte, klar zu sagen, was sie will. Dies mag ein zutreffender Vorwurf gewesen sein, in Verbindung mit der obigen Grundhaltung jedoch wäre er unberechtigt. Der klare Wunsch enthält nicht den Willen seiner unbedingten Durchsetzung, «altruistisch» kann man hinterher immer noch sein.
    Der hier empfohlene Umgangsstil sei an einem kleinen Alltagsbeispiel verdeutlicht: Ein Gastgeber sagt zu seinen Gästen, die sich anschicken, ein Mittagsschläfchen zu halten: «Ich würde gerne noch ein wenig Flöte üben, würde euch das stören?»
    Bevor wir hören, wie die Gäste antworten, halten wir uns vor Augen, wie unüblich ein solch offener Appell ist. 99 % aller Gastgeber würden ihn nicht vortragen, mit etwa folgenden Gedanken: «Zwar würde ich jetzt gerne Flöte üben, aber das kann ich meinen Gästen nicht antun, bestimmt würde es sie stören. Wenn ich fragen würde, würden sie bestimmt antworten: ‹Nein, nein, das stört uns nicht!› – aber nur, weil sie mir keine Umstände bereiten möchten.»
    Und so halten die 99 % der Gastgeber ihren Wunsch zurück, fangen an, sich etwas eingeengt zu fühlen und legen selbst den Grundstein für die Lebensweisheit: «Gäste sind wie Fische – nach drei Tagen fangen sie an zu stinken.»
    Wie antwortete der Gast?
    «Ja, stören würde es mich schon.»
    Ebenso ein Appell mit Informationscharakter («das heißt nicht, dass du nicht üben sollst!»). 99 % aller Gäste hätten «altruistisch» geantwortet: «Nein, nein, spiel nur! Lass dich durch mich überhaupt nicht einschränken!» – und hätten gedacht: «Muss er denn unbedingt in der Mittagszeit üben!?»
    Erst jetzt, nachdem die Wünsche offenliegen, kann eine Lösung gefunden werden. Aber ich behaupte: Ganz gleich, wie die Lösung ausfällt (Üben, Nicht-Üben, Später-Üben, Kurz-Üben, Woanders-Üben) – die wichtigste Lösung ist bereits erreicht: Sie liegt auf der kommunikativen Ebene –, Gast und Gastgeber sind miteinander im Kontakt und fühlen sich frei, ihre Wünsche auszudrücken. In einer solchen «Luft» lässt sich atmen, stinken die Fische nicht so

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