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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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mitteilen. Der Sender legt damit gleichzeitig die Saat für die eigene Enttäuschung; die Nicht-Erfüllung der Wünsche durch den Empfänger mag schlicht auf seiner Uninformiertheit beruhen.
    Viele der «guten Gründe», die den Sender halbbewusst veranlassen, den direkten, offenen Appell zu vermeiden, erweisen sich bei näherem Hinsehen als selbstgebaute Hindernisse auf dem Weg zu einer befriedigenden Mitmenschlichkeit. Bevor wir den aussichtsreichen Umgangsstil betrachten, der mit dem offenen Appell verbunden ist, wollen wir uns einige dieser «guten Gründe» ansehen, die den Sender oft zu Indirektheit und Unklarheit verführen.
    5.1
    Gründe für die Vermeidung offener Appelle im zwischenmenschlichen Umgang
    Selbstoffenbarungsangst. Wer Appelle sendet, gibt damit eigene Interessen und Wünsche preis. Jeder Appell hat somit eine Selbstoffenbarungs-Komponente, die der Sender bekanntlich gern verbirgt (vgl. S. 112ff.). Manche Appelle enthalten eine Bitte um Hilfe, einen Wunsch nach Kontakt oder «gar» das Bedürfnis nach «unnormalen» sexuellen Praktiken. Indem der Sender seinen Appell sehr indirekt gibt, hat er einerseits die Chance, dass der Empfänger die Signale versteht und «von sich aus» darauf eingeht. Der Sender kann dies dann «über sich ergehen lassen»; er hat, was er will, ohne durch Preisgabe seiner Bedürfnisse eine (vermeintliche) Prestige-Einbuße erlitten zu haben. Andererseits kann er – auf Nachfrage «Möchtest du etwa, dass ich …?» – den Appell dementieren («Mit keinem Wort habe ich von dir verlangt …») und sich so vor Entlarvung schützen.

    Angst vor Zurückweisung. Bei jedem Appell besteht die Möglichkeit, dass der Empfänger das Ansinnen zurückweist. Der um sein Selbstwertgefühl besorgte Sender würde diesen «Korb» als Zurückweisung seiner Person erleben. Indem er indirekt und verschlüsselt appelliert, gibt er dem Empfänger die Möglichkeit, den Appell zu «überhören», und erspart sich damit eine ausdrückliche Zurückweisung.

    «Kinder mit ’nem Willen …» Viele haben in ihrer Erziehung gelernt, sich mit eigenen Wünschen zurückzuhalten («Kinder mit ’nem Willen kriegen was auf die Brillen!»). So wirkt dann das Gefühl «Es steht mir gar nicht zu, meine Wünsche zu äußern und zu vertreten» als eine Art Dauerbremse. Dies ist oft ein Teil des Leidens derer, die auf Grund ihrer Gehemmtheit und Schüchternheit um Psychotherapie ersuchen. Sie lernen in einem Assertiven Training (Übungen zur Selbstbehauptung), ihre Interessen selbstbewusst und deutlich zu vertreten. Die Übungen sind so gestaffelt, dass am Anfang leichte Aufgaben zu bewältigen sind (z.B. jemanden um Feuer bitten), dann mit zunehmenden Erfolgserlebnissen immer schwierigere (z.B. im Restaurant ein Gericht zurückgehen lassen, wenn es unzumutbare Mängel aufweist).

    Unklares Ausmaß an «Zumutung». Vor jedem Appell schätzt der Sender unter Berücksichtigung vieler Umstände ab, ob es dem Empfänger zuzumuten ist, dem Wunsch nachzukommen. Wenn dies eindeutig zu verneinen ist, kann ein dennoch geäußerter Appell geradezu als aggressive Handlung aufgefasst werden. Oft aber bewegt sich ein Appell im Grenzbereich von Zumutbarkeit und Unzumutbarkeit, auch davon abhängig, wie die Motivationslage des Empfängers beschaffen ist. Ein indirekter, verschleierter Appell testet die Zumutbarkeit, ohne als aggressive Handlung eine Verschlechterung der Beziehung zu riskieren. Beispiel: Nach einer gemeinsamen Unternehmung wollen A und B abends nach Hause. B besitzt ein Auto. Ist es zumutbar, dass er A nach Hause fährt? A lässt einen «Versuchsballon» steigen: «Wie komme ich denn jetzt nach Hause – fährt hier irgendwo eine Straßenbahn?»

    Ermöglichung von «Freiwilligkeit». Wie wir gesehen haben, verändert eine Handlung ihren Charakter, wenn sie appellgemäß erfolgt (S. 277). Oftmals wird sie für den Empfänger infolge des Appells unattraktiv. Was soll der Sender tun, der dies weiß, aber trotzdem Einfluss nehmen möchte? Der Sender kann versuchen, einen Appell so indirekt zu geben, dass der Empfänger ihn (scheinbar) «überhören» – und anschließend «freiwillig» appellgemäß handeln kann. Wenn ein Gastgeber sagt: «Es war ein schöner Abend …» und durch das «war» zu erkennen gibt, dass er einen Abschluss nun durchaus für angebracht hält, dann kann der Gast nach einiger Tarnungszeit «von sich aus» zum Aufbruch blasen: «Sei nicht böse, Kurt, aber wir müssen jetzt

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