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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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der Sache keine Stellung zu nehmen.
    Aus der Sowjetunion ist bekannt geworden, dass im Umgang mit Dissidenten nicht nur psychologisiert, sondern sogar «psychiatrisiert» wird: Kritik am System wird als Selbstoffenbarung von Geisteskrankheit aufgenommen und entsprechend «behandelt».

    Aktives Zuhören. Kommen wir zu den Chancen zurück, die sich mit dem Selbstoffenbarungs-Ohr verbinden. Eine wichtige Kommunikationsfähigkeit für Gesprächstherapeuten (Rogers, s. Tausch 1979) und für Erzieher (Gordon 1972) ist das aktive Zuhören. Hier wird das Selbstoffenbarungs-Ohr besonders ausgebildet, jedoch nicht diagnostizierend und entlarvend eingesetzt («so einer bist du also»), sondern in dem Bemühen, sich in die Gefühls- und Gedankenwelt des Senders nicht-wertend einzufühlen. Dadurch verhilft der Empfänger dem Sender, mehr zu sich selber zu kommen. In der Gesprächspsychotherapie ist der Therapeut u.a. ständig dabei, die in Sachaussagen verborgenen Gefühlsinhalte einfühlend zu entdecken und gleichsam rückzuübersetzen:
Klientin: « … und mein Mann kann sich auch nicht darum kümmern – der kommt meistens erst sehr spät nach Hause …»
Therapeut: «Sie fühlen sich ziemlich alleingelassen mit den ganzen Problemen?»
Klientin: «Ja – nun, er hat wirklich viel zu tun und muß ja auch vorankommen.»
Therapeut: «Sie versuchen sich selbst zu sagen: ‹Du mußt dafür Verständnis haben, dass er sich nicht kümmert?›» usw.
    Die Grundeinstellung des Therapeuten bei diesem aktiven Zuhören lautet – kommunikationspsychologisch ausgedrückt:
     
Auch wenn du überwiegend auf der Sachseite sendest, so entdecke ich doch Selbstoffenbarungs-Anteile in deiner Nachricht (dahinter stehende Gefühle und Einstellungen). Ich versuche vor allem, diese Anteile herauszuhören und dir zurückzumelden, sodass du sie direkter vor Augen hast, dich damit weiter auseinandersetzen kannst und so zu einem vertieften Verständnis deiner selbst kommen kannst.
    Dieses aktive Zuhören ist über den therapeutischen Kontext hinaus von großer Bedeutung zur Verbesserung auch der tagtäglichen zwischenmenschlichen Kommunikation. Es wäre viel gewonnen, wenn der Empfänger – bevor er seinen «eigenen Senf» dazu gibt – zunächst einmal in der Lage wäre, sich präzise in die Welt des anderen einzufühlen und diese Welt gleichsam mit dessen Augen zu sehen (Empathie).
Peick (1979) fand bei einer Analyse veröffentlichter Gesprächstherapien heraus (Minsel 1974), dass die Therapeuten fast ausschließlich auf die Selbstoffenbarungsbotschaften der Klienten reagierten, hingegen «taub» waren für implizite Beziehungs- und Appellbotschaften. Sie kritisiert diese «reduzierte» und «beziehungslose» Kommunikation und plädiert für ein aktives Zuhören mit allen vier Ohren.
    Gelegentlich gibt es Kommunikationsstörungen in Verbindung mit dem aktiven Zuhören. Wer darin gerade ausgebildet ist, neigt zu einer mechanischen Handhabung und zu einer «Anwendung» dieses Verhaltens auch in solchen Situationen, wo es weder stimmig ist mit der eigenen Verfassung noch mit dem Gesprächsanliegen des Gegenübers. Jedes trainierbare Verhalten läuft Gefahr, den Irrweg der «ansprechenden Verpackungen» (s. S. 18ff.) zu wiederholen (ausführlich dazu s. das Nachwort, S. 297ff., speziell zum aktiven Zuhören S. 306).
    2.4
    Das «Appell-Ohr»
    Der Empfänger «auf dem Appell-Sprung». Von dem Wunsch beseelt, es allen recht zu machen und auch den unausgesprochenen Erwartungen der Mitmenschen zu entsprechen, ist manchem Empfänger mit der Zeit ein übergroßes Appell-Ohr gewachsen. Sie hören auf der Appellseite geradezu «das Gras wachsen», sind dauernd auf dem «Appell-Sprung».

    Abb. 22:
    Der appell-ohrige Empfänger.
    Kleinste Signale werden auf ihre Appell-Komponente hin untersucht. Ein Gast guckt sich um, der Gastgeber reagiert: «Was suchst du? Einen Aschenbecher? Warte, ich hole einen.»
    Kinder werden oft gelobt, wenn sie «zuvorkommend» sind, d.h. ein Gefühl dafür entwickeln, was der Erwachsene wohl gerne hätte. Für eine partnerschaftliche, klare Kommunikation ist dies keine gute Vorübung. Der Empfänger mit dem übergroßen Appell-Ohr ist meist wenig bei sich selbst, hat keine «Antenne» für das, was er selbst will und fühlt. Als ich die Schule verließ, hatte ich eine große Meisterschaft entwickelt, zu merken, welche Reaktionen die anderen von mir erwarteten. So lachte ich nach jeder scherzhaft gemeinten Bemerkung an der

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