Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
nicht einmal 10 Grad, und windig ist es auch.»
Tochter (heftig): «Wenn du mal aufs Thermometer geguckt hättest, dann wüsstest du, dass es sehr wohl 10 Grad sind – es sind sogar 11 1/2!»
Neben der sachlichen Korrektur steckt in dieser Nachricht auf der Beziehungsseite ein Gegenangriff. Die Mutter ist denn auch sehr verärgert über den «unverschämten» Ton und über den «Trotz» und über die kleinliche Rechthaberei der Tochter. Sie beschließt, der «unfruchtbaren Diskussion» ein Ende zu setzen:
Mutter: «Du hörst ja, was ich dir sage: Du ziehst jetzt die Jacke an!»
Tochter: (Ist stark empört über einen derartigen Befehlston und verlässt in hochgradigem Zorn die Wohnung – natürlich ohne die Jacke.)
Warum ist diese Kommunikation gescheitert? Warum konnte sich in so kurzer Zeit eine derartige Klimavergiftung einstellen? Analysieren wir den kleinen Vorfall mit Hilfe unseres Kommunikationsmodells. Die erste Äußerung der Mutter, von der das Gespräch seinen Ausgang nimmt, enthält auf den vier Seiten etwa folgende Botschaften (s. Abb. 17):
Abb. 17:
Die erste Äußerung der Mutter unter kommunikationspsychologischer Lupe.
Wie reagiert nun die Tochter auf dieses Nachrichten-«Paket»? Wir kommen hier zu einem sehr entscheidenden Punkt. Die Tochter fühlt sich «wie ein kleines Kind» behandelt und reagiert sehr allergisch auf die bevormundende Behütung durch die Mutter. Wichtig ist: Die Ablehnung der Tochter richtet sich gegen die Botschaft auf der Beziehungsseite, nicht gegen den Sachinhalt und vielleicht auch gar nicht einmal gegen den Appell (möglicherweise hatte sie selbst vor, die Jacke anzuziehen). Reagieren aber tut die Tochter auf den Sachinhalt – hier widerspricht sie («ist doch gar nicht kalt»). Nun wurde der Konflikt dort ausgetragen, wo er überhaupt nicht vorhanden war, nämlich auf der Sachebene. Es wurde über Temperaturen verhandelt, während es doch in Wahrheit um die Beziehung zwischen Mutter und Tochter ging. Zur Vermeidung dieses Fehlers hätte die Tochter in ihrer ersten Reaktion antworten können:
«Ich finde deinen Vorschlag nicht verkehrt, aber hör auf, mir solche Anweisungen zu geben; ich fühle mich dann wie ein kleines Kind behandelt.»
Dies wäre ein gutes Beispiel für «mehrseitiges» Kommunizieren gewesen. Die Tochter hätte so zum Ausdruck gebracht, dass es ihr nicht um die Frage «Jacke oder nicht Jacke» ging, sondern um den Wunsch, ohne Bevormundung eigene Entscheidungen in eigener Sache zu treffen. Nicht, dass damit der Konflikt aus der Welt wäre; aber die Auseinandersetzung fände an der richtigen Stelle statt.
Übungen
1. Folgende Lehrer-Schüler-Interaktion ereignete sich in einer 10. Realschulklasse während des Unterrichts:
Lehrer: «Sag mal, Helmut, meinst du nicht, dass dauerndes Kaugummikauen ungesund ist?»
Schüler: «Nein, es soll sogar sehr gesund für die Zähne sein!»
Lehrer: «Ja, vor allem der Zucker da drin!»
Schüler: «Der enthält gar keinen Zucker, denken Sie mal!»
Lehrer: «Selbstverständlich enthält der Zucker, du Neunmalkluger – nach einer halben Stunde Kauen merkt man davon natürlich nichts mehr!»
Schüler: «Ich kaue erst 20 Minuten, Sie Zehnmalkluger!» (Grölendes Lachen in der Klasse)
a) Analysieren Sie die erste Äußerung des Lehrers nach kommunikationspsychologischen Gesichtspunkten!
b) Welche Art von Kommunikationsstörung zwischen Lehrer und Schüler liegt hier vor?
c) Welches alternative Verhalten würden Sie dem Lehrer an Stelle seiner ersten Äußerung empfehlen? (Bitte auch wörtliche Rede formulieren!)
2. (Zu zweit) Führen Sie zu zweit ein kurzes Gespräch. Was auch immer A sagt, B hört nur die sachlichen Anteile heraus und reagiert auf dieser Sachebene. Wie wirkt sich dies auf Ihr Gespräch aus? Kommt Ihnen das «irgendwie bekannt vor»?
2.2
Das «Beziehungs-Ohr»
Bei manchen Empfängern ist das auf die Beziehungsseite gerichtete Ohr so groß und überempfindlich, dass sie in viele beziehungsneutrale Nachrichten und Handlungen eine Stellungnahme zu ihrer Person hineinlegen oder übergewichten. Sie beziehen alles auf sich, nehmen alles persönlich, fühlen sich leicht angegriffen und beleidigt. Wenn jemand wütend ist, fühlen sie sich beschuldigt, wenn jemand lacht, fühlen sie sich ausgelacht, wenn jemand guckt, fühlen sie sich kritisch gemustert, wenn jemand wegguckt, fühlen sie sich gemieden und abgelehnt. Sie liegen ständig auf der «Beziehungslauer».
Übung
(Zu zweit
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