Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
Vom Netzwerk:
oder in Gruppe) Verteilen Sie die Rollen – ein Sender und ein Empfänger. Der Sender hat die Aufgabe, den Empfänger anzusprechen und harmlose Dinge zu sagen. Der Empfänger soll auf der «Beziehungslauer» liegen und in jeder Nachricht eine gegen ihn gerichtete Gemeinheit wittern. Beispiele:

Sender
Empfänger
«Die Übung gefällt mir nicht.»
«Wenn Sie sie lieber mit jemand anders machen wollen …»
«Schönes Wetter heute!»
«Ich weiß, dass ich oberflächlich bin – aber nur über das Wetter sprechen mag ich auch nicht.»
«Sie wirken heute sehr schwungvoll!»
«Ja, ich weiß, dass ich normalerweise einen schlaffen Eindruck mache!»
«Ich finde Sie wirklich nett!«
«Jetzt wollen Sie mich trösten!»
usw. (zum seelischen Hintergrund einer solchen Reaktionsweise s. Kap. B III, 5.3, S. 223ff.).

    Abb. 18:
    Der Empfänger mit dem großen Beziehungs-Ohr.
    Der im letzten Abschnitt (2.1) dargelegte Kommunikationsfehler bestand darin, die Beziehungsauseinandersetzung auf die Sachseite zu verlagern. Empfänger mit dem überempfindlichen Beziehungs-Ohr machen den umgekehrten Fehler: Sie weichen einer Sachauseinandersetzung aus, indem sie auf die Beziehungsseite herabsteigen. Angenommen, ein Lehrer schlägt während des Unterrichts eine Übung vor. Ein Schüler reagiert angewidert: «Ach, schon wieder – das haben wir doch schon hundertmal gemacht!» – Der Lehrer verbittet sich den unverschämten Ton, weist den Schüler zurecht und nimmt dann seine Unterrichtstätigkeit wieder auf. Wohl ist es verständlich und berechtigt, dass der Lehrer die Störung auf der Beziehungsseite der Nachricht anspricht, sich hier «nicht alles bieten lässt». Damit ist er jedoch nur der einen Seite gerecht geworden; wie steht es mit dem sachlichen Kern der Kritik (Sachseite der Nachricht)? Und wie will der Lehrer auf den Appell reagieren, der sich mit der Kritik verbindet? Der Appell dieses Abschnittes lautet nicht: Leg dir eine Hornhaut zu, reagiere gelassen, wenn dich eine Beziehungsbotschaft trifft. Sondern er lautet: Sieh zu, ob du nicht das Beziehungs-Ohr derart gespitzt hast, dass du schon das Gras wachsen hörst. Oftmals hat eine Nachricht eher Selbstoffenbarungscharakter (s. zum Beispiel die erste Äußerung in der Übung auf S. 56 – da wäre das andere Ohr haupt-zuständig.
    Hat die Nachricht Selbstoffenbarungs- oder Beziehungscharakter?
    In manchen Fällen scheitern Sender und Empfänger in der Klärung der Frage, ob eine Nachricht überwiegend Selbstoffenbarungs- oder überwiegend Beziehungscharakter hat. Beispiel: Der eine Ehepartner zieht sich auf sein Zimmer zurück. Liegt die Hauptbotschaft dieses Verhaltens auf der Selbstoffenbarungsseite («Ich brauche Ruhe, möchte für mich alleine sein – das hat nichts mit dir und unserer Beziehung zu tun») oder auf der Beziehungsseite («Ich kann dich jetzt nicht ab»)? Beides wäre möglich (s. Abb. 19) – und beide Empfangsfehler dürften gleich häufig vorkommen:

    Abb. 19:
    Ein und dasselbe Verhalten kann als reine Selbstoffenbarung oder als Beziehungssignal aufgefasst werden; hier: Jemand zieht sich zurück.
    1. Das Verhalten als Ausdruck für die Beziehung interpretieren («er mag mich nicht mehr»), obwohl es nur des Senders Eigenart und Bedürfnislage widerspiegelt («ich brauche meine Ruhe»).
    2. Das Verhalten als Eigenart des Senders interpretieren («er ist halt ein Eigenbrötler»), obwohl es beziehungsbedingt ist («ich mag dich nicht so nahe haben»).
    Übrigens belegt das Beispiel die Nützlichkeit, in einem psychologischen Modell die Selbstoffenbarungs- von der Beziehungsseite zu trennen.
    2.3
    Das «Selbstoffenbarungs-Ohr»
    Verglichen mit dem überempfindlichen Beziehungs-Ohr kann es seelisch gesünder sein, ein gut gewachsenes Selbstoffenbarungs-Ohr zu haben, welches die Nachricht unter dem Aspekt aufnimmt: «Was sagt sie mir über dich ?» (s. Abb. 20).

    Abb. 20:
    Empfänger mit dem Ohr auf der Selbstoffenbarungsseite.
    Diese Empfangsweise kann sogar dann angebracht sein, wenn explizite Beziehungsbotschaften ankommen. Ein Beispiel aus der Familie:
    Der Vater kommt gereizt nach Hause, sieht Spielzeug herumliegen und schnauzt sein Kind an: «Was ist das hier für ein Saustall, und der Dreck hier – was bist du für ein Schmierfink!» (s. Abb. 21)
    Solange ein Kind nicht älter als fünf Jahre ist, wird es diese Nachricht mit dem Beziehungs-Ohr hören müssen, sich schlecht und schuldig fühlen und deprimiert schlussfolgern: «So

Weitere Kostenlose Bücher