Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
Dekodierung hängt ab von seinen Erwartungen, Befürchtungen, Vorerfahrungen – kurzum: von seiner ganzen Person. So mag es geschehen, dass manche Botschaft überhaupt nicht ankommt (etwa wenn der Empfänger den «mürrischen Unterton» nicht mitkriegt); oder dass er mehr «hineinliest» in die Nachricht, als der Sender hineinstecken wollte (etwa wenn der Empfänger einen «Vorwurf» auf der Beziehungsseite heraushört, den der Sender nicht erheben wollte); oder dass er sich angegriffen fühlt, obwohl der Sender nur einen «lustigen» Gesprächsanlass suchte.
Fassen wir zusammen: In die ankommende Nachricht investiert der Empfänger gleichsam seine ganze Person – sie ist zu einem gut Teil «sein eigenes Werk».
Das folgende Beispiel illustriert, wie gesendete und empfangene Nachricht völlig unterschiedlich ausfallen können:
Abb. 23:
Ehepaar beim Mittagessen.
Der Mann fragt beim Mittagessen: «Was ist denn das Grüne hier in der Soße?» Die Frau: «Mein Gott, wenn es dir hier nicht schmeckt, kannst du ja woanders essen gehen!»
Nehmen wir an, der Mann habe eine reine Informationsfrage stellen wollen (Kapern sind ihm unbekannt). Wir können dann den geschilderten Vorfall analysieren, indem wir die gesendete und die empfangene Nachricht einander gegenüberstellen:
Abb. 24:
Die vier Seiten der gesendeten und der empfangenen Nachricht in einer Gegenüberstellung.
Reagieren konnte die Frau natürlich nur auf die empfangene Nachricht. Da ihre Antwort auf den Beziehungsteil der Nachricht gerichtet war, wird das Missverständnis sofort offenbar und damit auch prinzipiell reparabel. Anders wäre es gewesen, wenn die Frau – innerlich wütend und verletzt, aber dennoch bemüht, sachlich zu bleiben – knapp geantwortet hätte: «Das sind Kapern.» Weder für den Mann noch für die Frau noch für einen Außenstehenden wäre offenkundig, dass sich hier ein Missverständnis ereignet hat. Vielleicht wird der Mann nach einiger Zeit merken, dass seine Frau verstimmt ist. Dann wird er vielleicht fragen: «Ist irgendwas?» Und es besteht noch eine Chance zur nachträglichen Metakommunikation. Vielfach aber bleiben solche verdeckten Missverständnisse unaufgeklärt und stören künftig die Beziehung aus dem Verborgenen. Verdeckte Missverständnisse entstehen durch einseitige (an Stelle von vierseitiger) Kommunikation (s. Abb. 25).
Abb. 25:
Verdeckte Missverständnisse: Das explizite Sachgespräch (über der Oberfläche) geht weiter, die schweren Missverständnisse (der «Bruch» unter der Oberfläche) bleiben unentdeckt.
Missverständnisse sind das Natürlichste von der Welt, sie ergeben sich fast zwangsläufig schon aus der Quadratur der Nachricht. Sender und Empfänger sollten daher beim Aufdecken und Besprechen von Missverständnissen nicht davon ausgehen, dass sich eine peinliche Panne ereignet hat, für die man den Nachweis der eigenen Schuldlosigkeit erbringen sollte. Wer «recht hat», ist weder eine entscheidbare noch eine wichtige Frage. Es stimmt eben beides: Der eine hat dieses gesagt, der andere jenes gehört.
3.1
Einige Ursachen für Empfangsfehler
Wenn die Nachricht anders ankommt, als sie gemeint war, kann das sehr verschiedene Ursachen haben. Wenn Sender und Empfänger aus verschiedenen Sprachmilieus stammen, liegen Verständigungsfehler besonders nahe. Schichtenspezifische Sprachgewohnheiten behindern den Umgang von Angehörigen verschiedener Schichten und Subkulturen nicht nur auf der Sachebene, sondern auch und vor allem auf der Beziehungsebene.
Darüber hinaus möchte ich drei Faktoren erwähnen, die häufig als Störquelle wirken: Das Bild, das der Empfänger von sich selbst hat (Selbstkonzept), das Bild, das der Empfänger vom Sender hat und das Phänomen der korrelierten Botschaften.
Das Selbstkonzept des Empfängers. Beim hochempfindlichen Beziehungs-Ohr ist uns bereits das Phänomen begegnet, wie der Empfänger sein eigenes Selbstbild als Deutungsschlüssel für die einlaufenden Nachrichten benutzt (vgl. S. 56f.). Jemand, der nicht viel von sich hält, neigt dazu, auch akzeptierende und harmlose Botschaften so auszulegen, dass sie sein negatives Selbstbild bestätigen. Hier dreht sich ein Teufelskreis: Ein negatives Selbstbild verschafft seinem Besitzer immer wieder negative Erfahrungen, die dieses Selbstbild bestätigen und stabilisieren (s.a. Kap. B III, 5.3, S. 223ff.).
Das Bild, das der Empfänger vom Sender hat. «Ich weiß, wie er es meint, denn ich kenne
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