Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
Situation?»
Führt uns ein gemeinsames Interesse zusammen (welches?) – oder befinden wir uns in einer Konkurrenzsituation? – Gibt es einen unausgesprochenen Konflikt zwischen uns? (Wenn ja, können wir uns jetzt nicht gut in vergnüglichem Gespräch unterhalten.) – Bin ich von deinen Entscheidungen persönlich betroffen? (Wenn ja, kann ich schlecht dein Berater sein.) – Haben wir die gleichen Rechte oder bin ich Vorgesetzter und muss letztlich allein die Entscheidung verantworten? – Sind die Teilnehmer freiwillig in meinen Kursus gekommen oder wurden sie geschickt? (Wenn geschickt, kann ich schlecht am Anfang fragen, was sie von uns lernen wollen.)
Eine Kommunikation ist stimmig, wenn dem Raum gegeben wird, was im Raume ist. Oftmals ist man geradezu überrascht, wenn jemand genau das anspricht, was «in der Luft liegt» – so sehr haben wir uns an ein offizielles Protokoll gewöhnt, das die heikle Wahrheit der Situation zu überspielen trachtet.
Ich hoffe, ich konnte wenigstens annähernd vermitteln, was ich unter «Stimmigkeit» verstehe – dass die Übereinstimmung mit der Wahrheit der Situation die Bewusstheit meiner inneren wie der äußeren Realität voraussetzt und dass vor allem folgende Aspekte eine Rolle spielen: mein inneres Zumutesein, die erkennbare Verfassung des Empfängers, meine Beziehung (auch: Rollenbeziehung) zu ihm, die Forderungen der Lage und die Anliegen meiner Existenz.
5.
Lernziel Authentizität?
Ist Authentizität, ist eine deutlichere (und bejahende) Wahrnehmung der eigenen Innenwelt und eine geringere Besorgtheit um die Selbstdarstellung lernbar? Die Antwort ist: ja. Allerdings folgt das Lernen bei diesem Ziel nicht dem Gesetz des fleißigen Einübens, und «effektive Trainingsprogramme», womöglich noch als «programmierte Unterweisung», wird man (hoffentlich) vergeblich suchen. Stattdessen ist ein therapeutisch-existenzieller Prozess nötig, der die Auseinandersetzung mit den beiden großen Hindernissen enthält: mit den (gesellschaftlichen) Verhältnissen um mich herum und mit den (gesellschaftlichen) Verhältnissen in mir selbst. Auf der Ebene des Individuums setzt Authentizität ein Mindestmaß an Selbstwertgefühl voraus. Wer insgeheim überzeugt ist, mit sich selbst «keinen Staat machen» zu können, wird sich nicht zeigen mögen und wird in vielen Fällen durch ein verstärktes Geltungsstreben sein Minderwertigkeitsgefühl zu kompensieren trachten – dieser fundamentale Zusammenhang von Selbstwertgefühl und Kommunikation war bereits von Alfred Adler immer wieder herausgestellt worden, in neuer Zeit besonders von Virginia Satir (1975). Das Lernziel Kommunikationsfähigkeit braucht somit ein Curriculum, das die seelische Gesundheit der Gesamtpersönlichkeit fördert . In diese Richtung wirken therapeutische Prozesse, die es darauf anlegen, das Individuum mit sich selbst auszusöhnen, seine Schattenseiten zu akzeptieren und Abstriche von einem Perfektheitsideal zu machen, das jeden Fehler, jede Unzulänglichkeit als peinliche Schande erscheinen lässt.
Das zweite große Hindernis tritt uns auf der Ebene der Institution Gesellschaft gegenüber. So kann sich Authentizität nur schwer entwickeln, wenn die Institution auf Rivalität aufbaut. Solange etwa die Schule den gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen hat, unter den Schülern die «Spreu vom Weizen» zu trennen und entsprechend nur derjenige Schüler auf den grünen Zweig kommt, der sich von der «Weizenseite» zu präsentieren weiß, so lange bleibt die Schule eine Brutstätte der Selbstoffenbarungsangst. In einer Arbeit von Jacobsgaard (1977) stellte sich heraus: 70 % der befragten Haupt- und Realschüler gaben an, Angst zu haben, wenn sie vor anderen Menschen sprechen sollen. – Ganz entsprechend ist der Karrierewettbewerb in der Arbeitswelt wenig geeignet, einen authentischen, fassadenfreien Umgangsstil zu fördern. Die Mitarbeiter eines Unternehmens stehen vor einem unauflösbaren Dilemma: Einerseits unterliegen sie dem offiziellen Appell zur Zusammenarbeit (und müssen daher aufnahmefreudig sein für alles, was die Kooperation fördert – z.B. Fehler zugeben, keine Energieverschwendung zur Wahrung des Gesichtes); andererseits unterliegen sie dem inoffiziellen Appell zur «Gegeneinander-Arbeit»: Wem es gelingt, sich selbst herauszustellen und womöglich den anderen schlecht aussehen zu lassen, erhöht seine Chance auf eine Karriereprämie. So ist es verständlich, dass diese Mitarbeiter
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